Niederlande:Weltmeisterlich

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Faustabend gegen Frankreich: Memphis Depay, Torschütze zum 2:0. (Foto: Dean Mouhtaropoulos/Getty Images)

Die Holländer erneuern den Ruf ihres anregenden Fußballs: Nach dem 2:0 gegen Frankreich reicht ein Punkt in Deutschland für Platz eins.

Von javier cáceres, Rotterdam

Am Freitagabend zeigte sich, wie blank die Nerven liegen bei Benjamin Pavard, dem Weltmeister des VfB Stuttgart. Ob er eine Erklärung dafür habe, warum es bei ihm so schlecht laufe beim VfB und nun auch in Frankreichs Nationalelf, die 0:2 in den Niederlanden verloren hatte, lautete die Frage. Pavard antwortete nicht. Er warf dem Fragesteller einen bösen Blick zu und stapfte wütend davon.

Zuvor hatte Pavard einige leere Floskeln abgeliefert: Man hätte "eigentlich alles besser machen" müssen, "schlüssige Gründe" für den mangelhaften Vortrag des Weltmeisters habe er auch keine - solche Sachen hatte der Verteidiger gesagt. Und in der Tat: Frankreich musste eingestehen, im Grunde chancenlos gewesen zu sein.

"Wer eigentlich ist der Weltmeister?", fragte die niederländische Zeitung Volkskrant am Tag danach. Dass die Franzosen im Stadion De Kuip, der alten "Wanne" von Rotterdam, nicht abgeschossen worden waren, hatten sie einzig ihrem superben Torhüter Hugo Lloris zu verdanken, der in seinem Privatduell mit dem niederländischen Angreifer Memphis Depay nur einmal das Nachsehen hatte: als der Stürmer von Olympique Lyon in der Nachspielzeit mit einem Elfmeter à la Panenka zum 2:0 den formidablen Schlusspunkt setzte.

Die Holländer erneuern den Ruf ihres anregenden Fußballs

Mit diesem Sieg schickte Holland zudem Deutschland, den Weltmeister von 2014, vorzeitig in die zweite Liga der Nations League. Am Montag kommt es nun in Gelsenkirchen zum Wiedersehen mit den Deutschen, die man neulich in Amsterdam 3:0 geschlagen hatte. Ein Punkt auf Schalke reicht dabei den Niederländern, um vor Frankreich Gruppensieger zu werden und das "Final Four" der Nations League 2019 zu erreichen - das Viererturnier, das sie eigentlich gar nicht auf der Rechnung hatten. Zudem können sie bei der Auslosung der EM-Qualifikation nun vermutlich Top-Mannschaften aus dem Weg gehen.

Vor allem aber erneuern die Niederländer derzeit den vorzüglichen Ruf ihres Fußballs, der so erleichternd lebensbejahender ist - und anregender als jener Fußball, der zuletzt bei der WM erfolgreich war und deshalb einen Trend zu begründen schien: Frankreichs Konterfußball galt plötzlich als maßgebend für alle. Nun sind das Team und sein Spielstil "zurück auf der Erde", wie die Zeitung L'Équipe  befand.

"Unsere Unzulänglichkeiten waren himmelschreiend", ärgerte sich Trainer Didier Deschamps. Er sprach von einer "logischen Niederlage", der ersten seit März. Deschamps wollte mentale Gründe nicht ausschließen. Am Ende dieses extrem erfolgreichen Jahres sei "Druckabfall" zu beobachten - oder, wie der Franzose es viel schöner ausdrückt: "décompression". Das könnte für Topspieler wie Mbappé oder Griezmann gelten, die nicht mehr um Stimmen für den Goldenen Ball kämpfen müssen; die Abstimmung wurde am 9. November geschlossen. "Wir hatten nicht genug von all dem, was unsere Stärke ausmacht", sagte Deschamps nur unpräzise.

Seine Elf stand meist massiert hinten drin und vertraute darauf, dass der Gegner Fehler macht. Die machte die Niederlande aber nicht, obwohl die drei Angreifer Griezmann, Giroud und Mbappé mit seltsam einsamen Pressing-Bemühungen versuchten, den Spielaufbau zu stören. Einsam deshalb, weil kaum ein Franzose nachrückte, wenn die drei vorne den Ball jagten.

Die Holländer ließen ihrerseits den Ball kreisen und leiteten logische Passfolgen ein, um auf Torgelegenheiten zu warten. Gewiss, die Franzosen hatten zwei, drei Großchancen. Aber ohne "effectivité" ist Frankreichs Fußball in etwa so schmackhaft wie Bleistifte. Ganz anders die Niederländer, die kurz vor der Pause - eigentlich viel zu spät - durch Georginio Wijnaldum in Führung gegangen waren (43.).

Ihre neue Mischung aus exzellenten jungen und alten Spielern, repräsentiert durch Matthijs de Ligt, 19, und Virgil van Dijk, 27, in der Innenverteidigung, oder durch Frenkie de Jong, 21, und Wijnaldum, 28, im Mittelfeld, trägt Früchte: "Ich hatte kein perfektes Spiel von uns erwartet. Aber genau das war der Fall", schwärmte Nationaltrainer Ronald Koeman. Auch das Ziel in Deutschland sei ein Sieg: "Auf Unentschieden spielen? Das können wir nicht", betonte Wijnaldum.

© SZ vom 19.11.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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