Neuss:Das Feldlager der Fußball-Polizisten

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In der Polizeischule Neuss leben und arbeiten 150 Beamte - sie sollen verhindern, dass Hooligans das Land zum Schlachtfeld machen

Annette Ramelsberger

Sie hatten nicht damit gerechnet. Es war ja auch kein wichtiges Spiel, kein Derby, keine Abstiegs-Entscheidung, nur ein kleines Vorbereitungstreffen, irgendwo im Norden von Berlin. Sie hatten nur ein paar Polizisten hingeschickt, war ja nichts zu erwarten.

Dann kamen sie, Hooligans, eine ganze Horde. Die beiden Polizisten, ein Mann, eine Frau, zu Fuß, waren ihnen hilflos ausgeliefert.

Die Angreifer sprangen ihnen in die Kniekehle. Schlugen sie zu Boden, traten auf sie ein. Sieben Monate war die Polizistin danach krank geschrieben, ihr Kollege ist noch immer dienstunfähig. Der Angriff geschah genau vor einem Jahr. Und so etwas könne immer wieder geschehen, sagt der Berliner Hauptkommissar Jürgen Lange - "wenn wir nicht vorbereitet sind."

Dass Hooligans angreifen, irgendwo, irgendwann, ganz unerwartet - das ist die größte Sorge vor der Fußball-WM. Damit es nicht passiert, rüstet die Polizei geradezu generalstabsmäßig auf. Polizisten, die seit Jahren gewalttätige Fans auf Schritt und Tritt begleiten, werden zusammengezogen. Beamte aus Großbritannien, den Niederlanden und Polen unterstützen sie. Großbritannien hat eigens für die WM einen Diplomaten an der Botschaft in Berlin installiert. Selbst Japan schickt eine Delegation Fußball-Polizisten. 300 Beamte werden während der WM ständig durchs Land fahren und nach Hooligans fahnden.

Opfer Nivel kommt

Die Anti-Hooligan-Truppe will genau das verhindern, was die Beamten in Berlin wie Erinnerungen an frühere Kämpfe an ihre Wände gepinnt haben: Polizisten, die von Massen bulliger Männer angegriffen werden. Dixi-Klos, die wie Wurfgeschosse auf ihre Helme prallen. Oder eine Phalanx von Schlägern, die ihren Aufmarsch auch noch fotografieren lässt - um die Fotos später stolz herumzuzeigen. Und in der Mitte der ganzen Szenen: Daniel Nivel, der französische Polizist, wie er in seinem Blut liegt, zusammengetreten von deutschen Hooligans, während der Fußball-WM 1998. Der Polizist, der seitdem teilweise gelähmt ist und der nun, zum Spiel Deutschland gegen Polen am kommenden Mittwoch, trotz alledem als Zuschauer nach Dortmund kommen will.

In Neuss am Rhein steht die Erdbebenzentrale der Hooligan-Verfolger. Hier schlägt jede Stimmungsschwankung der Fans wie bei einem Seismographen aus, hier wird gesammelt, welche Wege die Fans gehen, was sie vorhaben, auf wen sie treffen, ob sie mit dem Sonderzug kommen, oder mit Bussen. "Wir versuchen, aus einem Heuhaufen von Gerüchten die vier Stecknadeln herauszufinden, an denen etwas dran ist", sagt Michael Endler, der Chef der Truppe. Eine ganze Polizeischule haben sie für die Männer und Frauen dieser Zentralen Informationsstelle Sport (ZIS) ausgeräumt. 150 Leute arbeiten hier bereits seit Wochen. Sie schlafen, essen und arbeiten hier - ein großes Feldlager auf sieben Etagen.

Szenekundige Beamte aus der ganzen Republik liefern der ZIS ihre Hinweise. Clubs berichten, Fan-Vereine werden gefragt. Während der Spiele erwarten sie bis zu 1000 Meldungen pro Tag. Die Beamten haben direkte Leitungen in die Sprecherkanzeln der Stadien. Sie wissen, welcher Einsatzführer wo Dienst tut. Die ausländischen Kollegen ziehen mit ihren deutschen Kollegen durchs Land, um die ihnen bekannten Hooligans zu identifizieren. "Intelligente Vorwärtsverteidigung", nennen das der Bayer Michael Weiß und der Niedersachse Felix Niedbala, die hier freiwillig acht Wochen Dienst tun.

Nicht immer glückt das. Als ein Dutzend Busse voller Dresdner Fans im September 2005 die Autobahnraststätte Pentling bei Regensburg auseinander nahm, da konnte die Polizei gar nicht so schnell schalten. In Berlin stürmten die Fans vom BFC Dynamo vor ein paar Wochen ihr eigenes Stadion und lieferten sich eine Schlacht mit Hooligans aus dem Umfeld des Lokalrivalen FC Union. Und als im Februar ein ganzer Zug von Rostocker Fans in der Stadt Stendal hielt, zündeten Hooligans fünf Polizei-Autos an und stürzten die Stadt in Angst und Schrecken. Eine solche Schlacht hatte die Stadt noch nicht gesehen.

Kurz vor der WM fürchten nun manche, dass Hooligans aus ganz Europa Deutschland zum Schlachtfeld machen wollen. Das kündigen sie zumindest an, die Herren Schläger in ihren Fanpostillen. Ein "Battlefield Germany" wollen sie hier eröffnen - und voller Ehrfurcht sprechen die Schläger von den Kollegen aus Polen. Die sollen besonders schlagkräftig sein, angetan mit Beilen, Baseballschlägern und sogar Kettensägen.

"Das ist eine Drohkulisse ohne realen Hintergrund", sagt ZIS-Chef Endler ungerührt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble rät den Herren, sie sollten gleich zu Hause bleiben, sie hätten hier nichts Schönes zu erwarten. Bisher wurde immerhin alles getan, damit die Schläger nicht zum Zug kommen. Die Briten haben fast 4000 ihrer gewalttätigen Fans die Ausreise verweigert. Die Polen liefern Daten über Gewalttäter, die Deutschen machen seit Wochen Hausbesuche bei ihren Stammkunden. Und wenn ihnen dort niemand aufmacht, dann gehen sie auch mal in Uniform an den Arbeitsplatz - das wirkt ungemein.

Die Hooligans schlagen sich nicht nur untereinander "Es ist nicht so, dass die Jungs sich nur irgendwo abseits treffen und sich dann gegenseitig verkloppen", sagt der Berliner Oberkommissar Volker H. Er will seinen Namen nicht in der Zeitung lesen, er wird bedroht, von Rockern, von Türstehern, von all den Herren, für die er Spielverderber ist. Und Spielverderber ist er jetzt auch bei der WM - mit seinen Kollegen ist er unterwegs, um die Schlägereien der Hooligans zu verhindern. Er hat immer öfter den Eindruck, dass es den Schlägern nicht mehr nur um den gegnerischen Fan geht, sondern darum, die Polizei zum Eingreifen zu provozieren - und sie dann als den eigentlichen Gegner zu vermöbeln. "So, wie man einen Köder ins Wasser hält, und der Fisch schnappt zu", sagt der Kommissar.

Doch auch, wenn die Hooligans genau das erreichen wollen - die Polizisten werden immer eingreifen, allein schon, weil sie das Faustrecht auf den Straßen nicht erlauben können. "Die schlagen sich mit Vorsatz gegenseitig die Birne ein, und am nächsten Tag lassen sie sich im Krankenhaus verarzten, und die Krankenkasse soll zahlen", sagt Kommissar Lange. "Die Gesellschaft ist doch nicht dazu da, deren Irrsinn zu finanzieren."

So rennen die Fußballpolizisten ständig hinter ihren Jungs her - ein Hase- und Igel-Spiel gewaltigen Ausmaßes. Kaum setzen sich ein paar Hools in Bewegung, wird das auch schon weitergemeldet. Wollen sie außen rum ums Stadion, erfährt das sofort ein Beamter. Der warnt die Einsatzkräfte. Selbst wenn sich die Hools weit außerhalb treffen, die Polizei ist dabei - meistens. "Wir müssen denen zeigen, dass wir auch wissen, wo der Bauer den Most holt", sagt Kommissar Lange.

Die Faust in der Tasche

Die szenekundigen Beamten kennen ihre Leute. "Manche erkennen die schon am Gang", sagt Lange. Die Polizisten nerven - und oft werden sie angezischt: Wir wissen, wie du heißt. Wir wissen, wo dein Auto steht." Manchmal wissen die Hooligans es wirklich. Es wird berichtet, dass zwei bekannte Schläger einmal einem Beamten sein Kind nach Hause brachten - sie hatten es freundlich von der Schule abgeholt. Nach dem Motto: Wir könnten, wenn wir wollten, Chef.

Dennoch sei es total übertrieben, welche Ängste nun geschürt würden, sagt Kommissar Lange - als würden 40000 Polen von rechts und 20000 Engländer von links über Deutschland herfallen. Doch den Verantwortlichen reicht es schon, wenn ein paar Hooligans auffällig werden - jene, die besonders verrufen sind. Fünf bis zehn Prozent der Rechtsextremisten sind Hooligans. Polizist Endler hat das einmal erlebt, 1996, in Zabrze in Polen. 300 deutsche gewalttätige Fans waren gekommen, streckten die Hand zum Hitlergruß, sangen das Auschwitzlied und zeigten ein Transparent mit der Aufschrift: "Schindler-Juden, wir grüßen Euch." Endler musste die Faust in der Tasche ballen, damit sie ihm nicht heraus schoss. "Als Staatsbürger fühlte ich mich ganz beschissen dabei", sagt er.

Als Polizist fühlte er sich vermutlich auch nicht so wohl. Die Polen empfanden das Spiel als recht friedlich, weil kein einziges Auto geklaut worden war. Doch vermutlich hat sich auch diese Haltung mittlerweile geändert. Durch die WM gleichen sich auch Sicherheitsstandards an.

© SZ vom 7.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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