Neue WM-Regeln:Schnelles Gelb

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Ellbogenschläge, Schwalben, Zeitspiel: Bei der WM gelten neue Regeln - die Schiedsrichter haben sie in Trainingsspielchen geübt.

Christian Zaschke

Horacio Elizondo hat einen Händedruck wie eine Schrottpresse. Er steht aufrecht und blickt aus dunklen Augen, seine kurzen Kotletten sind akkurat rasiert. Er spielt gut Golf, wird kolportiert, Handicap zwölf, und als Hobby gibt er das Verfassen von Gedichten an. Das ist der Mann, der als Schiedsrichter das Eröffnungsspiel der WM zwischen Deutschland und Costa Rica leitet. Horacio Elizondo sagt ernst: "Es ist eine große Verantwortung", aber dann kommt der Schweizer Urs Meyer vorbei, ehemals ebenfalls Schiedsrichter und jetzt für das ZDF unterwegs, und er stellt Elizondo ein paar Fragen, bis er zum Punkt kommt: Er bittet Elizondo, sich mit seinen Assistenten aufzustellen, in die Kamera zu schauen und zu sagen: "Hallo Deutschland!"

Es gelten schärfere Regeln bei der Weltmeisterschaft. (Foto: Foto: rtr)

Ein Dichter gibt den Ton vor

Elizondo sagt, testweise bevor die Kamera läuft: "Ola, Alemania!" "Nein, nein", sagt Meyer schnell. Die drei Argentinier sollen es auf Deutsch sagen. Elizondo schaut skeptisch. Seine Hände stemmt er in die Hüften, er steht jetzt gerade wie ein Fahnenmast, seine Augen blitzen, er sieht aus, als ob er denkt: Ich bin doch nicht dein Hampelmann, Kleiner. Doch schließlich gibt sich Elizondo einen Ruck, die drei Männer stellen sich auf, sie blicken in die Kamera, und wie auf ein unsichtbares Kommando sagen sie gleichzeitig: "Hallo Deutschland!"

Es war gut, dass nun niemand von Elizondo verlangte, er möge doch noch etwas anderes auf Deutsch sagen, zum Beispiel: "Mit dem Zweiten sieht man besser", das ist der Werbeslogan des ZDF. Beim Aufsagen dieses Spruches müssen sich die Aufsager ein Auge zuhalten, und das wäre für den Schiedsrichter, der das Eröffnungsspiel pfeift, keine gute Geste gewesen. Es ist noch nicht lange her, dass in Deutschland über bestochene Schiedsrichter gesprochen wurde, und gerade wird über die Schiedsrichter in Italien gesprochen. Elizondo verabschiedete Meyer mit seinem Schrottpressen-Händedruck, und Meyer ließ sich nichts anmerken.

Der Argentinier weiß, dass er im Eröffnungsspiel den Ton der WM setzen kann. Er will eine Leistung zeigen, "die die anderen fortsetzen können", sagt er. In seinen Ausführungen ist ein Zwiespalt zu erkennen. Einerseits sagt er, "alle Spiele sind gleich", er denke nicht an all die Zuschauer, es trete ganz einfach die Heimmannschaft gegen die Auswärtsmannschaft an. Andererseits führt er aus: "Ich darf nur wenige Fehler begehen. Wir können aus diesem Spiel alle für das Turnier lernen, und ich will nicht für Konfusion sorgen." Wie immer vor großen Turnieren haben die Schiedsrichter einiges besprochen, und Elizondo wird der erste sein, der das Besprochene auf großer Bühne in die Praxis überführt.

Der deutsche WM-Schiedsrichter Markus Merk sagt: "Wir wollen das Spiel fördern und die Spieler schützen." Im Detail bedeutet das, dass Tacklings härter bestraft werden, "und zwar nicht nur Tacklings von hinten, sondern egal von wo", sagt Merk. "Sehr hart" wolle man die sehr harte Grätsche bestrafen, sagt er, "er wird die eine oder andere rote Karte geben." Zur Spielförderung zählt insbesondere, dass die Schiedsrichter gegen das Zeitspiel vorgehen wollen. Wer den Ball wegschießt, nachdem ein Freistoß gepfiffen wurde, sieht Gelb, Gleiches gilt, wenn der Spieler den Freistoß verzögert, indem er vor dem Ball steht. "Wir haben das im Training durchgespielt", sagt Markus Merk, "und das gibt schnell Gelb."

Vorbilder - bis 2010

Außerdem auf der Agenda: das Halten am Trikot und der Schlag mit dem Ellbogen ("Der ist wieder sehr in Mode gekommen", sagt Merk). Einzig, was die Schwalben angeht, die vorgetäuschten Fouls, scheint es noch Uneinigkeit zu geben. Elizondo und Merk sagen, man wolle hart dagegen vorgehen, der Engländer Graham Poll hingegen sagt, Schwalben seien kein großes Thema. Er gibt zu bedenken: "Das ist ohnehin immer schwierig, weil man dem Spieler etwas Schwerwiegendes vorwirft, nämlich: ,Du hast betrogen'". Dieser Einwand hat etwas geradezu Rührendes, wenn man an Spieler wie den Italiener Filippo Inzaghi denkt, der das Modewort "proaktiv" konsequent umsetzt, indem er im Strafraum gerne fällt, bevor er berührt wurde.

Mit dem Wort "proaktiv" beschreiben nun auch die WM-Schiedsrichter, was sie tun wollen. Sie drücken damit aus, dass sie der Eskalation durch Reden zuvorkommen wollen. "Nutze deine Persönlichkeit", umschreibt Graham Poll das Vorhaben. Merk sagt: "Die Art und Weise, in der wir pfeifen, hat weltweit Symbolcharakter für die kommenden vier Jahre." An all das muss Horacio Elizondo vielleicht nicht denken, wenn er am Freitag den ersten Pfiff ertönen lässt, aber er wird daran gemessen werden. Sein ganzes Leben ist noch einmal an ihm vorbeigelaufen, als er hörte, dass er das Eröffnungsspiel pfeift. So hat er es erzählt. Viele Kameras werden ihn am Freitag beobachten, aber keine, in die er "Hallo, Deutschland!" sagen muss. Das wird es ihm erleichtern, seine Persönlichkeit wirken zu lassen.

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