Nationalspieler Nowotny erklärt Rücktritt:Der letzte Libero

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Ein großer Junge und sein Knie: Jens Nowotny hört auf - und will ein Kinderbuch schreiben.

Christof Kneer

In dem Kinderbuch, das Jens Nowotny schreiben will, muss auf jeden Fall ein Knie vorkommen. Vielleicht könnte die Geschichte so gehen, dass ein kleiner Junge mit anderen kleinen Jungen Fußball spielt und dass er irgendwann aufs Knie fällt und eine Weile nicht mehr mitspielen darf. Irgendwann darf er dann wieder, und dann fällt er wieder, und dann darf er wieder, und dann fällt er wieder.

Nummer 6 geht: Jens Nowotny. (Foto: Foto: ddp)

Irgendwann hat er keine Lust mehr auf Fußball, er geht einfach nicht mehr hin. Man könnte die Geschichte natürlich auch anders erzählen, Nowotny hat ja selbst gesagt, dass das Kinderbuch auch ein Fantasybuch sein könnte. Vielleicht könnte das Knie im Lauf der Geschichte groß und größer werden, und am Ende wäre es so gewachsen, dass man den Jungen dahinter gar nicht mehr erkennt. Der Junge wäre dann nur noch ein Knie, sonst nichts.

Ziemlich jung

Jens Nowotny will wirklich ein Kinderbuch schreiben, er hat das am Montag in einem Interview gesagt. Es war dasselbe Interview, in dem er sein sofortiges Karriereende verkündete, nach 334 Bundesliga- und 48 Länderspielen. Nowotny, zuletzt bei Dinamo Zagreb unter Vertrag, ist 33, für einen Fußballer ist das eher alt, für einen Kinderbuchautor aber eher jung.

Überhaupt hat er für einen Autor die besten Voraussetzungen. Er hat viel erlebt, sehr viel Zeit und so viel Geld, dass er alle Verlage, die sein Manuskript ablehnen, zur Strafe aufkaufen kann. Es ist, alles in allem, eine sehr eigenartige Karriere, die da am Montag zu Ende ging - nicht nur, weil Nowotny vor vier Wochen noch gesagt hatte, er fühle sich fit genug für die EM 2008.

Nowotny und die Fitness, das wäre auch ein spannendes Buch, aber so dicke Bücher liest ja heute keiner mehr. Es wäre ein Buch, das von vier Kreuzbandrissen handelt und von einem lächerlichen Meniskusschaden, der ihn am Ende zur Aufgabe zwang. "Die letzte Verletzung hat den Ausschlag gegeben", sagt Nowotny, obwohl er "gesundheitlich schon schlimmere Zeiten erlebt" habe. Aber nochmal Pause, nochmal Reha, das hat er nicht mehr gewollt. Er hat lieber aufgehört.

Auftritt im Sommermärchen

Man darf gespannt sein, was die Geschichtsschreibung einmal aus Jens Nowotny machen wird. Wird er als Teil des Sommermärchens in Erinnerung bleiben, als einer, der bei der WM 2006 im Spiel um Platz drei seinen Auftritt hatte? Wird er als Inbegriff des Pokerprofis weiterleben, als einer, der zwei Prozesse gegen den eigenen Arbeitgeber führte?

Einmal hat er Bayer Leverkusen auf verlängerte Lohnfortzahlung im Krankheitsfall verklagt, ein andermal war die Versteuerung eines 10,2 Millionen Euro schweren Handgelds strittig. Oder ist er eine sporthistorische Figur, als Deutschlands letzter Libero?

Jens Nowotny war ein sehr veranlagter Abwehrspieler, er war technisch anständig, kopfballstark und viel schneller als es sein schleichender Laufstil vermuten ließ. Aber der deutsche Fußball hat es nicht sehr gut gemeint mit ihm. Die Bundestrainer Vogts und Ribbeck haben den 77-jährigen Matthäus so ausdauernd als Libero besetzt, bis das Jungtalent Nowotny hinter ihm zum Alttalent geworden war - und als Matthäus 78-jährig aufhörte, sollte der gelernte Libero Nowotny plötzlich ein moderner Innenverteidiger sein.

Um zu erfahren, wer Jens Nowotny wirklich war, wird man sich wohl noch ein wenig gedulden müssen. Man wird die Antwort irgendwann finden, zwischen Buchdeckeln, in der Kinderbuchabteilung.

© SZ vom 23.1.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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