Nationalmannschaft:Stehversuch im Tempodrom

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Bundestrainer Klinsmann muss feststellen, wie schwer es ist, zwei Jahre lang ein Projekt zu verkaufen

Christof Kneer

Doch, doch, es war schon Jürgen Klinsmann, der dort vorne auf dem Podium saß. Man kann sich in diesen hoch technisierten Zeiten ja nicht mehr sicher sein, weil es inzwischen kein Problem mehr ist, zum Beispiel ein Jubelbild von Oliver Bierhoff zu drucken und dann den Kopf von Carsten Jancker auf Bierhoffs Hals zu montieren. So gesehen, könnte man auch Jancker das Golden Goal bei der Euro 1996 schießen lassen, wobei Jancker dann an Bierhoffs Statt für Haarwasser hätte werben müssen, was möglicherweise etwas schwierig geworden wäre.

Es war aber doch der richtige Klinsmann da vorne, er sprach live und in Farbe. "Das sind Erfahrungen, die wichtig sind für die Mannschaft", sagte er nach dem 2:2 gegen Russland im letzten Testspiel vor dem Confederations Cup; oder er sagte: "Das späte Gegentor nervt natürlich ein bisschen."

Vermutlich hatte man deshalb kurz an Klinsmanns Echtheit gezweifelt, weil man all diese Sätze schon kannte. Klinsmann hat sie fast wortgleich schon einmal gesagt, im Februar, nach dem 2:2 gegen Argentinien in Düsseldorf.

Man hätte auch den Klinsmann von damals aufzeichnen und auf eine Leinwand in den Presseraum des Borussia-Parks in Mönchengladbach werfen können, man hätte das kaum gemerkt. Es war ein Abend voller Déjà-Vu-Momente. Wie gegen Argentinien hatte Klinsmanns Team erneut die Kühnheit besessen, so frech Fußball zu spielen, wie man das als aufrechter Teutone bauartbedingt nicht tut.

Schlechte Stimmung in der Kabine

Leichten Fußes ging es nach vorne, das Problem war nur, dass das Spiel auch hinterwärts eine Blaupause von Düsseldorf war. Wieder hatten sich die einst wegen ihrer schrecklichen Sachlichkeit gefürchteten Deutschen ein unsachliches, spätes Gegentor eingefangen, und wieder saß der Bundestrainer vor der Presse und machte ein Gesicht, das sich selbst widersprach.

"Die Mannschaft hat nach dem Rückstand tollen Charakter gezeigt", sagte Klinsmanns Mund, aber seine Augen sagten etwas Anderes. Sie blickten drein wie bei einem, der sich überlegt, ob er sich mehr freuen oder ärgern soll und der am Ende beim Ärgern landet.

"In der Kabine war keine so gute Stimmung", berichtete Kapitän Michael Ballack später, "auch die Mannschaft war geknickt. Ich hoffe, dass dieses eine Tor jetzt nicht beim einen oder anderen auslöst, dass er mit hängendem Kopf in die drei freien Tage geht."

Jürgen Klinsmann ist ein Freund der Geschwindigkeit, und es kann ihm nicht gefallen, dass im Tempodrom Nationalmannschaft nun die ersten unfreiwilligen Stehversuche zu verzeichnen sind. Es kann ihm nicht gefallen, dass er vier Monate nach dem 2:2 gegen Argentinien noch einmal das gleiche Spiel erleben musste.

Frech hat Klinsmann jene jungen Spieler erfunden, von denen alle dachten, dass es sie gar nicht gibt, aber er hat lernen müssen, dass er sich auf diese Mannschaft noch nicht so verlassen kann, wie er gehofft hatte. Er weiß, dass er in der Abwehr eine Viererkette hat, die streng genommen aus Per Mertesacker besteht; er weiß, dass Spieler wie Hitzlsperger, Owomoyela oder Hanke eher mangels Alternativen zu Nationalspielern aufgestiegen sind; er weiß, dass der Gesamtvortrag dieser Elf noch viel zu sehr von der Verfassung einzelner Jünglinge abhängt.

Ist Schweinsteiger in Form, spielt Deutschland Fußball. Ist Kuranyi in Form, schießt Deutschland Tore. Ist Hinkel in Form und Lahm gesund, kann man eine Abwehr bauen. Wenn nicht, bleibt oft nur Michael Ballack.

Es ist Klinsmanns Verdienst, dass Deutschland auf einmal Fußball spielen kann, und es ist kein Wunder, dass dieses Reformpaket noch nicht fertig geschnürt ist. Nun aber scheint es, als würde die Nation plötzlich jenes Tempo einfordern, das ihr anfangs nicht recht geheuer war.

"Klinsi, das war nix", titelte Bild, und es lässt sich erahnen, welche Konflikte beim Confed Cup drohen könnten. Klinsmann spürt, dass ausgerechnet ihm, dem offensiven Verkäufer seines Projekts, ein Vermittlungsproblem bevorsteht. Er weiß, dass er nichts Anderes sagen kann, als dass die Elf Fehler machen und dazu lernen muss; aber er weiß, dass die Öffentlichkeit das nicht mehr hören mag.

Wird die Entwicklung abgeschlossen?

Gegen Russland hat Klinsmann registrieren müssen, wie schwer es ist, ein Projekt zwei Jahre lang als Projekt zu verkaufen. Ein Jahr ist es noch bis zur WM, und fürs Erste steckt Klinsmann in einem Dilemma fest, aus dem es schwer ein Entrinnen gibt.

Ein Jahr ist zu lang, um immer nur dieselben Botschaften zu verkünden. Aber es ist wohl zu kurz, um eine Entwicklung abzuschließen, von der vor zehn Monaten noch keiner ahnte, dass es sie jemals geben würde. Aber es ist wohl zu spät jetzt: Oder ob man Fifa-Boss Sepp Blatter vielleicht doch noch bitten könnte, die WM ausnahmsweise erst 2008 auszutragen?

© SZ vom 10.6.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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