Nationalmannschaft:Das gefühlte WM-Jahr

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Das deutsche Team muss mit einem kuriosen Fahrplan zu den Titelkämpfen im eigenen Land reisen.

Christof Kneer

Beim ersten Mal ist es natürlich immer am schönsten, aber ein bisschen freuen dürfen sich Hamburgs Fotografen trotzdem. Sie wissen schon jetzt, dass sie im Oktober Bilder schießen, die die Nation ihnen aus den Händen reißen wird. Michael Ballack beim Gummitwist abzulichten, kommt ja immer gut, Oliver Kahn bei der Schwangerschaftsgymnastik ist auch kein schlechtes Motiv, und gut verkauft sich bestimmt auch Robert Huth, wie er unter Zuhilfenahme seines bedrohlichen Körpers in einer Art Donnerbalkenstellung seitwärts watschelt.

Schauen etwas skeptisch drein beim Training in Rotterdam: Assistent Joachim Löw und Bundestrainer Jürgen Klinsmann (r.) (Foto: Foto: dpa)

Man hat sich manchmal schon gefragt, was die Nation eigentlich vor jener lustigen Frühsporteinheit gemacht hat, die der Fitnesscoach Mark Verstegen im September vergangenen Jahres in Berlin erstmals abhielt. Insofern ist es vermutlich eine gute Nachricht, dass das Land vor der WM noch zwei weitere Male die Gelegenheit haben wird, seine Helden beim Gummitwist zu erwischen.

Anfang Oktober, vor dem Länderspiel in Istanbul gegen die Türkei, werden Jürgen Klinsmanns eingeflogene US-Spezialisten die Nationalspieler in Hamburg dem nächsten großen Kundendienst unterziehen, ein weiterer ist für März 2006 terminiert.

Besser gummitwisten

Es ist kein Geheimnis mehr, dass Klinsmanns Crew nicht sehr glücklich war mit den Resultaten der ersten Tests, weshalb die sportliche Leitung den Ton verschärft hat. "Wir wollen sehen, dass die Spieler sich in ihren jeweiligen Problembereichen bis März messbar verbessern", sagt Assistent Joachim Löw, "sonst kann es sein, dass wir bei der WM auf den einen oder anderen verzichten."

Es wird also ernst jetzt, noch ernster, als diese mit Erwartungen überladene WM ohnehin schon ist. Das Länderspiel in Rotterdam gegen die Niederlande ist das erste Länderspiel in der WM-Saison, und das ist in diesem Fall mehr als nur eine statistische Anmerkung. Die WM-Saison hat viel mehr begonnen, als man das zehn Monate vor dem Championat für möglich halten sollte, aber der neu gefasste internationale Terminkalender bringt es mit sich, dass sich 2005 schon ein bisschen anfühlt wie 2006.

Feilschen mit der Fifa

Seit der Weltverband Fifa nicht nur den ungeliebten April-Termin storniert hat, sondern auch jenen im Februar, bleibt im ersten Halbjahr 2006 für Länderspiele nur noch ein Termin übrig: der 1. März. An jenem Tag gastiert die DFB-Elf in Italien, und es hat schon einer Ausnahmeregelung des Weltverbandes bedurft, um einen zweiten Termin im März herauszuschlagen. "Diese Schräglage im Kalender müssen wir hinnehmen", sagt Löw, "aber es macht die Sache für uns natürlich schwieriger."

Es wird wohl die erste Weltmeisterschaft in der Geschichte des Fußballs werden, bei der sich die Nationalspieler der Teilnehmerländer im WM-Jahr kaum zu Gesicht bekommen, was jedem Länderspiel noch mehr Gewicht verleiht. Die wichtigsten Personalentscheidungen - außer der leidigen Torwartfrage - werden zwangsläufig in diesem Jahr schon angebahnt, und so ist aus 2005 längst ein gefühltes WM-Jahr geworden.

Natürlich ist es den Nationaltrainern nicht Unrecht, dass ihre im Verein strapazierten Profis nicht über Gebühr belastet werden - aber es kann ihnen nicht gefallen, dass die Schonung des Personals so radikal zu Lasten der Auswahlmannschaften ausfällt. "Natürlich nutzen wir alle Länderspieltreffen, um Schritt für Schritt am Zusammenspiel und an der Taktik zu feilen", sagt Löw, "aber der Feinschliff muss sich jetzt in der Tat auf die dreieinhalb Wochen der unmittelbaren WM-Vorbereitung konzentrieren."

Das führt zu der kuriosen Konsequenz, dass die sportliche Leitung plant, eines der drei in der Vorbereitungsphase platzierten Länderspiele freiwillig zu streichen, um gezielter trainieren zu können. "Außerdem weiß man ja, dass Spiele im Vorfeld eines Großereignisses oft zu ergebnisorientiert bewertet werden", sagt DFB-Sprecher Harald Stenger.

Risiko minimieren

Mit anderen Worten: Das Team Klinsmann will auch das Risiko minimieren, das in solchen Partien steckt - man verausgabt sich im Training, verliert das Spiel und nimmt die negative Stimmung mit hinein ins Turnier. "Trotzdem wollen wir zum Schluss noch einen Kracher präsentieren", sagt Löw, "im letzten Spiel vor der WM wollen wir den Ernstfall gegen einen starken Gegner üben." Gedacht sei an eine namhafte Nation, die aber in der WM-Qualifikation gescheitert ist - "es lässt sich ja absehen, dass der eine oder andere Große nicht durchkommt", so Löw.

Erst nach der WM-Gruppenauslosung im Dezember sollen die Gegner festgelegt werden, ansonsten ist der Fahrplan bereits konkret. Am 15. oder 16. Mai, unmittelbar nach Ende der Bundesliga-Saison (13. Mai), wird Klinsmann den Kader seines Vertrauens in Deutschland zusammenziehen und ihn sodann gleich außer Landes schaffen, zu einem Regenerations- und einem richtigen Trainingslager "im europäischen Ausland", wie es offiziell heißt.

Vermutlich wird der DFB in Österreich oder der Schweiz Quartier beziehen, mit 23 müden Kriegern, deren einziger Urlaub in der WM-Saison aus 14 Tagen Winterpause bestand. "Macht aber nichts", sagt DFB-Sprecher Stenger, "die Spieler können dann ja nach dem WM-Finale Urlaub machen." Wenn das so ist: schöne Ferien.

© SZ vom 18.8.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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