Nationalmannschaft:Abkehr vom Prominenz-Prinzip

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Die Berufung Hans-Dieter Flicks zum Co-Trainer überrascht alle, die mit einem namhaften Mann an Löws Seite rechneten und zeigt, dass die sachlichen Inhalte der Trainerarbeit an Gewicht gewonnen haben. Prominenz ist nicht mehr Voraussetzung.

Philipp Selldorf

Als Jürgen Klinsmann vor sechs Wochen in Frankfurt erläuterte, warum er seine Arbeit mit der Nationalmannschaft nicht fortsetzt, herrschte eine Stimmung, die von Abschied und Wehmut geprägt war.

Es war sogar ernsthaft die Rede davon, dass nun manchem Fan das Herz brechen werde.

Oliver Bierhoff erlaubte sich trotzdem ein bisschen Spott am Rande. Der Verband könne sich doch freuen, sagte der Manager des Nationalteams.

"Wir folgen einer alten Tradition des DFB: Der Co-Trainer folgt auf den Bundestrainer."

Ein Scherz nur, denn tatsächlich bringt die Zeit mit Klinsmanns Nachfolger Joachim Löw einen weiteren Traditionsbruch. Nachdem er nun den ehemaligen Bundesligaprofi Hans-Dieter Flick zu seinem Assistenten berufen hat, ergibt sich die Situation, dass erstmals seit dem Reichstrainer Professor Otto Nerz weder der Chefcoach noch sein erster Helfer in der Ehrentafel der deutschen Nationalspieler verewigt sind.

Von Sepp Herberger, Helmut Schön und Jupp Derwall bis Franz Beckenbauer, Berti Vogts, Rudi Völler und Jürgen Klinsmann haben alle Bundestrainer irgendwann für Deutschlands erste Elf gespielt, und wer nun einwendet, dass es doch noch diese zwei Jahre mit Erich Ribbeck gegeben habe, dem sei erwidert, dass als Gegendarstellung zu Ribbeck auch der schnauzbärtige Uli Stielike gehörte (Elfmeter-Verschießer bei der WM 1982). Und dass es diese zwei Jahre mit Ribbeck nie hätte geben dürfen und nie gegeben hat.

Raue Zeiten für verdiente Größen

Statt Hans-Dieter Flick, genannt Hansi, hatten die berufsmäßigen Beobachter zunächst eigentlich andere Koryphäen an Löws Seite erwartet. Guido Buchwald oder Pierre Littbarski zum Beispiel, vor 16 Jahren in Italien jeweils Weltmeister geworden, und ganz Verwegene hielten auch ein Engagement von Thomas Häßler für denkbar. Aber die Zeiten sind rauer geworden für verdiente Größen. Ein Name, der gute Erinnerungen birgt, genügt nicht mehr.

Noch unmittelbar vor der Weltmeisterschaft hätten es mindestens 99 Prozent des Publikums für unmöglich gehalten, dass einmal ein Duo namens Joachim Löw und Hans-Dieter Flick an der Spitze der deutschen Fußball-Nationalmannschaft stehen könnte.

Inzwischen wundert sich so recht keiner mehr, was wohl damit zu tun hat, dass in der öffentlichen Wahrnehmung die sachlichen Inhalte der Trainerarbeit an Gewicht gewonnen haben und Länderspiel-Einsätze nicht mehr als notwendige Voraussetzung für das geeignete Charisma gelten. An die Stelle des Prominenz-Prinzips ist das Trainer-Prinzip getreten.

© SZ vom 24.8.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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