Nationalelf:Moin, moin, Deutschland

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Der Deutsche Fußballbund hat so viele Talente wie nie zuvor - dennoch fehlt eine ganze Generation. In den Neunzigern wurde die Talentförderung verschlafen.

Christof Kneer

Es gibt noch ein schönes Zeitungsfoto von damals. Das Foto zeigt den Fußballer Paul Gascoigne, und es zeigt noch einen anderen Mann namens Dieter Eilts, der so nah an, über, unter und neben diesem Gascoigne klebte, dass der bestimmt nicht mehr viel Freude am Fußball hatte.

Machen Hoffnung für die Zukunft: Tim Borowski, Lukas Podolski, Per Mertesacker, Bastian Schweinsteiger und Patrick Owomoyela (von links). Die Generation davor wird im Wesentlichen durch Michael Ballack repräsentiert. (Foto: Foto: AP)

Das war auch der Sinn dieser Collage, und für alle, die immer noch nicht verstanden hatten, dass hier ein Mann dem anderen den Spaß verdirbt, hatten die Zeitungsmacher dem Spieler Eilts sicherheitshalber noch ein kleines kämpferisches Grußwort in den Mund gelegt. Es lautete: Moin, moin, Gascoigne.

Schöne Zeiten waren das damals, 1996, als der deutsche Fußball noch der deutsche Fußball war. Man wusste präzise, was man erwarten konnte - Spieler wie den treuen Eilts etwa, der den Engländer Gascoigne im Halbfinale der EM 1996 so aufdringlich eskortierte, dass den bald der Verfolgungswahn befiel. Deutschland siegte im Elfmeterschießen, und im Finale siegte Deutschland wieder, mittels Golden Goal.

Historischer deutscher Fußball

Hinterher sah man einen kleinen Mann in einem großen Stadion einen ungelenken Tanz aufführen; es war Berti Vogts, der Bundestrainer. Ziemlich historische Bilder sind das inzwischen, nicht nur, weil es der bislang letzte Titel war, den eine deutsche Nationalelf in Besitz brachte. Historisch sind sie vor allem, weil sie einen deutschen Fußball zeigen, den es nicht mehr gibt.

Wer den deutschen Fußball des Jahres 2005 bebildern will, landet wieder bei Dieter Eilts, man darf das ruhig kurios finden. Eilts sieht immer noch aus wie damals, aber seine läuferische Veranlagung zeigt er nur noch an der Seitenlinie. Er trainiert die U-21-Junioren, und das ist die vielleicht undeutscheste Mannschaft seit langem.

Eine Spaßverderbermannschaft ist das längst nicht mehr; sie spielt jetzt richtig, mit Kurzpässen, Flügelläufen und allem, und ihre EM-Qualifikationsgruppe hat sie klar gewonnen, mit sieben Siegen, drei Remis und 24:5 Toren. Sie hat sich sogar ein entspanntes letztes Spiel leisten können am Dienstagabend in Österreich, in dem eine kleine Tempoverschärfung zum 3:0 durch Tore von Hanke (53., 55.) und Brzenska (76.) reichte.

Individuelle Klasse der Jungen - drei gleichwertige U21-Teams

"Dass wir souverän als Gruppenerster ins EM-Achtelfinale einziehen, war nicht zu erwarten", sagt Eilts. "Die unwahrscheinliche Spielfreude und individuelle Klasse dieses Jahrgangs" lassen den Trainer die heutige Achtelfinal-Auslosung gelassen ziemlich erwarten.

Es ist in der Tat ein von der Sonne verwöhnter Jahrgang, der sich nicht einmal davon beeindrucken lässt, wenn ihm mal eben eine halbe Mannschaft abhanden kommt. Die besten Spieler der Baujahre 1983 und jünger spielen längst bei Jürgen Klinsmann, aber die Absenzen von Mertesacker, Podolski, Schweinsteiger, Jansen, Sinkiewicz oder Huth kontert dieser Jahrgang locker mit Spielern wie Piotr Trochowski (HSV), David Odonkor (Dortmund) oder Malik Fathi (Hertha), und zur Not holt sich dieser Jahrgang seine technisch begabten Nachrücker wie Roberto Hilbert (Fürth) oder Ioannis Masmanidis (KSC) aus der zweiten Liga.

Unter normalen Umständen dürfte man es einen erfreulichen Trend nennen, dass Eilts womöglich drei fast gleichwertige U-21-Teams in den Wettbewerb entsenden könnte. Aber der Trend besagt auch, dass der Unterbau gar kein Unterbau mehr ist. Er ist schon fast das Hauptgebäude.

Deutschland hat so viele Talente wie nie zuvor, aber es fehlt das, was man den gestandenen Spieler nennt. Das so genannte beste Fußballalter zwischen 25 und 30 erschöpft sich im Prinzip in einem Spieler namens Ballack, und so kommt es, dass die Talente in Pflichten genommen werden, für die sie schwerlich schon taugen können.

"In der Tat fehlt eine ganze Generation", sagt Eilts; woran das liegt, sagt er als anständiger DFB-Angestellter lieber nicht. "Als die fehlende Generation ausgebildet wurde, war ich noch Spieler", sagt er vorsichtig. "Ich habe mir damals über Talentförderung keine Gedanken gemacht."

In Wahrheit ist es so, dass der deutsche Fußball jetzt büßen muss für seine Sünden von einst. Allzu sorglos ist die Sportart in den Neunzigern unter der Ägide des vermeintlichen Jugendpflegers Vogts vor sich hin verwaltet worden; stolz hat man die eigene Titelsammlung inspiziert und sich nicht daran gestört, dass der Nachwuchs nicht mehr konkurrenzfähig war.

Erbärmliche EM 2000

Es musste erst die erbärmliche EM 2000 kommen, "um die richtigen Schlüsse zu ziehen", wie Eilts sagt. Talentförderprogramme wurden aufgelegt und Leistungszentren angeordnet, und jetzt, sagt Eilts, "sieht man erste Auswirkungen. Und da kommt sicher noch mehr".

Es hat eine schräge Ironie, dass aus Deutschland, dem Land der Wettbewerbsbestien, fürs Erste ein Juniorenland geworden ist, gerade jetzt, da man bei der heiligen Heim-WM ein paar praxisharte Profis gebrauchen könnte. In acht Monaten könne sich noch viel entwickeln, sagt Eilts pflichtschuldig; aber bis seine jungen Helden ihr Höchstniveau erreichen, gesteht er, brauche es "sicher noch vier, fünf Jahre".

© SZ vom 13.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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