Nationalelf:Manipulation am DFB-Gen

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Der Gladbacher Matthias Ginter muss in Zukunft vielleicht gar nicht mehr so sehr auf den Löw-Fußball umstellen. (Foto: Gladys Chai von der Laage/imago)

Joachim Löw probt den Stilwandel und fordert weniger Ballbesitz und mehr Pressing.

Von Ulrich Hartmann, Düsseldorf

Im Mönchengladbacher Borussia-Park in der Startelf zu stehen, ist für Innenverteidiger Matthias Ginter ein bekanntes Gefühl - aber nur im Trikot des aktuellen Tabellenführers Borussia Mönchengladbach. Im deutschen Nationaltrikot hat der 25 Jahre alte Freiburger in seiner Wahlheimat am Niederrhein noch nie ein Länderspiel bestritten. Trotzdem wusste er schon vor dem Anpfiff des vorletzten deutschen EM-Qualifikationsspiels am Samstagabend gegen Weißrussland, dass es sich anders anfühlen wird, und der Grund, den er dafür nannte, klang irgendwie nicht nach einem Kompliment für Bundestrainer Joachim Löw. Ginter sagte: "Wir spielen in Gladbach mittlerweile einen anderen Fußball, gehen früh drauf, spielen hohes Risiko - da kann es schon mal ein, zwei Tage dauern, bis man wieder das DFB-Gen in sich hat." Das klingt, als müsse sich ein überzeugter Sportwagenfahrer an eine ausgeliehene Familienkutsche gewöhnen.

Nun ist Ginter kein rhetorischer Draufgänger, der großmäulig mit Gladbachs Erfolg kokettiert. Ginter ist nur ehrlich - und Löw gibt ihm gewissermaßen sogar recht. Der Bundestrainer nämlich sagte, als er Ginters Ausführungen am Freitagmittag noch nicht kannte, dass er der Nationalelf ein paar neue Impulse verordne. "Der Fokus im taktischen Bereich ist nicht mehr nur Ballbesitz, davon müssen wir in manchen Spielen ein bisschen wegkommen", betonte Löw: "Ein Thema ist da für uns momentan auch: Ballgewinn, Umschalten und dann die Frage: In wie vielen Sekunden schaffe ich es aus dem Mittelfeld in den gegnerischen Sechzehner, um ein Tor zu erzielen?" Ob Löw sich bei Ginter nach den Methoden des Gladbacher Trainers Marco Rose erkundigt hat, wurde in der Pressekonferenz in Düsseldorf nicht thematisiert.

Gegen Weißrussland, die Nummer 86 der Weltrangliste, darf man nicht allzu viele offensive Umschaltaktionen erwarten. Da wäre es auch nicht hilfreich, wenn die deutsche Elf als Nummer 16 der Welt großzügig Ballbesitz abgäbe, bloß um das Spielgerät dann möglichst häufig zurückzuerobern. Deutschland spielt nicht Katz und Maus, sondern wird vielmehr auf aktive Spielgestaltung zielen. Löw hat bereits verraten, auf welche Kandidaten er setzt: Im Tor steht Manuel Neuer (Marc-André ter Stegen darf dafür am Dienstag in Frankfurt gegen Nordirland spielen), Ginter ist in der Innenverteidigung gesetzt, im Mittelfeld spielen Joshua Kimmich, Ilkay Gündogan und Toni Kroos, und auf einem der beiden offensiven Flügel Serge Gnabry. Weil Löw überdies durchklingen ließ, dass vorne Julian Brandt und Timo Werner vorstellbar wären sowie hinten an Ginters Seite Jonathan Tah oder Robin Koch, hat man die Startelf nahezu beisammen. Die Außenverteidiger heißen vermutlich Lukas Klostermann und Nico Schulz.

Um mit einem Sieg die Qualifikation für das paneuropäische Turnier 2020 wohl schon zu sichern, ist dies eine respektable Aufstellung, aber es ist halt nicht die ideale. So fehlen nicht nur Leroy Sané und Marco Reus, die im Hinspiel beim 2:0-Sieg in Borissow die Tore erzielten, sondern in Niklas Süle, Antonio Rüdiger, Thilo Kehrer, Marcel Halstenberg und dem rotgesperrten Emre Can etliche Abwehrspezialisten. "Verletzungen haben uns das ganze Jahr begleitet", sagt Löw, "dabei hätten wir gerne mehr Konstanz gehabt, um Automatismen einzuschleifen." Die Qualifikation geriet zwar nie in Gefahr, doch für die EM selbst hat Löw keine allzu übertriebenen Erwartungen: "Wir werden", sagt er ganz nüchtern, "dort nicht zu den absoluten Topfavoriten gehören."

© SZ vom 16.11.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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