Nationalelf im Iran:Diplomatischer Dienst in kurzen Hosen

Lesezeit: 3 min

Die deutsche Fußballnationalmannschaft meistert im Iran schwierige Aufgaben, nicht aber den Torwartstreit.

Philipp Selldorf

Es wird recht früh dunkel in Teheran und die Straßenbeleuchtung ist mindestens so miserabel wie manche Trottoirs, die mit hinterhältigen Löchern, Unebenheiten und knietiefen offenen Kanalläufen aufwarten.

Deswegen ist es gut, dass sich das deutsche Mannschaftsquartier in einer reizlosen Vorstadtgegend befindet, in der ein Spaziergang nicht lohnt - millionenschwere Beine und Gelenke geraten so erst gar nicht in Unfallgefahr.

Stattdessen unternahm die Mannschaft am Freitagmorgen eine spontane Stadtrundfahrt mit Besichtigung des Schah-Palastes Saad Abad, was viel Anklang sowohl bei den Spielern wie bei den Einheimischen hervorrief, die Zeuge des für beide Seiten nicht alltäglichen Ausflugs wurden.

"Überwältigend und sehr emotional" fand Jürgen Klinsmann bereits den Empfang am Flughafen am Donnerstag, als "herzlich, fast überschwänglich" empfand ihn Michael Ballack, als "zu viel des Guten" bezeichneten ihn iranische Beobachter.

"Wir haben mitbekommen, dass einige Spieler nervös wurden", entschuldigte sich ein Herr im Namen der Nation, denn der Austausch von Höflichkeiten ist zentraler Bestandteil des Reiseprogramms. So war es schließlich von Anfang an vorgesehen.

"Wir vertreten Deutschland", sagte Nationalteam-Manager Oliver Bierhoff, "und die Botschaft, dass der Sport verbindet, ist schon wegen der Problematik mit den islamischen Ländern ein wichtiger Auftrag für uns."

Kahn: "Wahnsinn"

Sowohl der Bundestrainer Klinsmann wie der Kapitän Ballack qualifizierten sich in diesem Sinne als glaubwürdige diplomatische Gesandte. Manchmal klang es, als habe das Auswärtige Amt ihre Antworten an die iranischen Journalisten vorbereitet.

"Unser Bild von der iranischen Mannschaft ist sehr ausgeprägt. Sie gehört sicherlich zur Elite in Asien", gab zum Beispiel Klinsmann zu Protokoll. Auch tückische Aufgaben galt es zu meistern.

So sollte Ballack seine Meinung äußern zu der Tatsache, dass beim Spiel am Samstag im Azadi-Stadion außer einer Hand voll deutscher Besucherinnen keine Frauen im Stadion sein dürfen. 100000 Männer werden dort unter sich sein.

Religiöse Gründe sind für diese Verordnung maßgebend, obwohl sich die Geistlichkeit nicht einig darüber ist, was Allah gegen weibliche Fußballfans haben könnte (ein Argument wäre immerhin, dass die iranischen Männer sehr rüde zu schimpfen pflegen während der Spiele).

Jedenfalls entdeckte Ballack das gefährliche Potenzial dieses Themas und entgegnete: "Es gibt verschiedene Kulturen. Bei uns ist es anders, hier ist es so. Ich denke, man muss es akzeptieren."

Allerdings deutete sich gestern auch an, dass nicht alle Aspekte dieses Trips mit solcher Leichtigkeit zu klären sind. Kaum dass Klinsmann gehofft hatte, die penetrante Debatte um die einander feindlichen Torhüter Jens Lehmann und Oliver Kahn sowie den renitenten Torwarttrainer Sepp Maier durch resolutes Verschieben auf nächste Woche beruhigt zu haben, meldete sich der in Deutschland zurückgelassene Kahn und verlangte via Bild, dass es so nicht weitergehen dürfe und er endlich Klarheit verlange.

Er oder ich, heißt das wie im finalen Ehestreit, denn der Bayern-Torwart glaubt: "Lehmann provoziert andauernd. Die Situation musste irgendwann eskalieren." Sein Appell schließt mit einen Kahnschen ceterum censeo: "Das ist doch Wahnsinn."

Genau so muss es Klinsmann auch vorkommen, der in Teheran statt am Torwartstreit lieber an der Erprobung seiner Nachwuchskräfte arbeiten möchte. Deshalb berief er das Team ein und erklärte die durch die Torwartfrage ausgelösten "Nebengeräusche in den Medien" für zweitrangig.

Auf Dauer kann ihm das nicht gelingen. Gestern nahm er noch Zuflucht im Kommuniquéstil: "Wir in Deutschland haben die sehr glückliche Situation, dass wir zwei absolute Weltklassetorhüter haben, um die wir in der ganzen Welt beneidet werden."

Das Prädikat Weltklasse steht allerdings bei Kahn inzwischen in Frage - umso deplatzierter wirkt deshalb sein Ultimatum an den Bundestrainer. Ballack spricht von einem "sehr harten und gesunden Konkurrenzkampf" und hat sich dabei gerade so weit festgelegt, dass er Lehmanns Anspruch auf den Platz im Tor für "legitim" hält.

Genau das hatte der beim FC Arsenal beschäftigte Lehmann in seinem jüngsten Kicker-Interview formuliert.

Zumindest eine Streitfront wird sich am Samstag ein wenig beruhigen: Den durch das Fehlen von Torsten Frings vakanten Mittelfeldposten im soll Fabian Ernst einnehmen, der dann neben Miroslav Klose zweiter Bremer im Team sein wird - was die zuletzt etwas eifersüchtig um Lobbyarbeit bemühten Werderaner Klaus Allofs und Thomas Schaaf besänftigen sollte.

Im letzten Akt der Reise geht es tatsächlich ums Spiel und hier enden wohl die bilateralen Formalitäten. "Wir haben sehr viel Respekt vor der iranischen Mannschaft", sagt Klinsmann, "aber wir werden trotzdem unser Spiel aufziehen. Wir sind hierher gekommen, um zu gewinnen. Und meine Mannschaft traut sich das ohne weiteres zu."

© Süddeutsche Zeitung vom 09.10.04 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: