Nationalelf:Freundliches Desinteresse

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Jürgen Klinsmann verteidigt seine Politik und kontert die Kritik der Fußballexperten mit einem Lächeln. Die diskutieren unterdessen weiter über die Trainingsmethoden des Bundestrainers.

Philipp Selldorf

Am Anfang stand das Vorwort, gesprochen vom DFB-Präsidenten. Gerhard Mayer-Vorfelder hielt das für angebracht in Anbetracht der Aufregungen um die Nationalmannschaft und deren Trainerstab. Deshalb verkündete er gestern der versammelten Presse, dass er hochgradig zufrieden sei mit den Methoden von Jürgen Klinsmann, lobte die Zugänglichkeit und ständige Erreichbarkeit des Bundestrainers, disqualifizierte alle Einwände aus der Bundesliga als "abenteuerlich" und versicherte seine volle Unterstützung wie sie der Onkel dem Neffen verspricht, wenn der seine Arbeit im Familienunternehmen aufnimmt. Klinsmann, der während dieser Rede daneben saß, machte jedoch nicht den Eindruck, als ob er tief gerührt wäre.

Bundestrainer Jürgen Klinsmann schaut ganz genau hin: Welche Spieler werden gegen China die Wiedergutmachung für das Türkei-Spiel angehen? (Foto: Foto: AP)

Klinsmann braucht Hilfe. Braucht Klinsmann Hilfe?

Ob auch Hilfe immer hilfreich ist? In diesem Metier gilt es eigentlich als schlechtes Zeichen, wenn Präsidenten meinen, sie müssten ihren Trainern helfen. Der Hertha-Manager Dieter Hoeneß hat das bedacht, als er am Samstagabend in Istanbul nach der 1:2-Niederlage gegen die Türkei gefragt wurde, ob Franz Beckenbauer recht habe, wenn er beklage, Klinsmann wolle sich nicht helfen lassen.

Beziehungsweise: Ob Klinsmann tatsächlich Hilfe brauche. "Natürlich braucht er Hilfe", sagte Hoeneß. Er hält das aber für eine Selbstverständlichkeit - weshalb er sofort hinzufügte, dass er jeden Reporter gerichtlich verfolgen werde, der in seiner Zeitung die Schlagzeile aufsetzen lasse: "Hoeneß sagt: Klinsmann braucht Hilfe."

Kinder lieben das Nationalteam - trotzdem

Beim Spiel gegen China an diesem Mittwoch können Klinsmann und sein Team zumindest schon mal auf die Unterstützung des Hamburger Publikums zählen. 10.000 Menschen waren am späteren Montag gekommen, um das Training in der AOL-Arena zu verfolgen, und die Spieler, die am Samstag in Istanbul noch so verschreckt und kümmerlich gekickt hatten, als ob sie unter Schock stünden, wurden von ihnen gefeiert wie Supermänner.

Allerdings haben vermutlich die meisten Jubelnden die Partie gegen die Türkei gar nicht gesehen, da sie zum Zeitpunkt ihrer TV-Ausstrahlung längst im Bett lagen. Das Durchschnittsalter der Trainingsgäste lag nämlich ungefähr bei zehn Lebensjahren.

Elf so katastrophal wie unser Land

Erwachsene Beobachter des Geschehens sind hingegen weniger gnädig gestimmt, Fachleute wie der Bayern-Manager Uli Hoeneß zum Beispiel, der sich im bayrischen Fernsehen ziemlich grimmig zur Lage äußerte. Wenn Hoeneß polemisch wird, ist das kein Spaß. Aber es ist für Klinsmann offenbar auch kein Grund, Zugeständnisse anzubieten und sein Handeln zu überdenken.

Im Gegenteil konnte man gestern den Eindruck haben, dass er seinen Standpunkt um so fester einnimmt, je mehr Proteste ihn nun erreichen. Hoeneß' insgesamt rüde Bemerkung, der Zustand der Nationalmannschaft sei ähnlich "katastrophal" wie der des ganzen Landes und seiner Politik, konterte Klinsmann mit einem Lächeln. "Wenn das seine Auffassung ist, dann ist das seine Auffassung", erklärte er im Tonfall von freundlichem Desinteresse.

Seine Gelassenheit wirkte nicht gespielt. Auf die Hilfszusagen von Mayer-Vorfelder und dessen Amtsbruder Theo Zwanziger hätte Klinsmann daher auch verzichten können. Ihre Solidaraktion bezeichnete er als "ganz normale Haltung, weil beide Präsidenten bestens informiert sind über unsere Arbeitsweise".

Die Arbeitsweise bei der Nationalmannschaft stört aber auch prinzipiell hilfsbereite Begleiter wie Schalkes Trainer Ralf Rangnick, der seine Sympathien für die unkonventionellen Ansätze des Bundestrainers schon oft formuliert hat. Doch auch seinem Unmut über die Belastungen der Spieler im Trainingsbetrieb der Nationalmannschaft erweist Klinsmann keine Anerkennung.

"Unser Anspruch ist höher als in der Bundesliga", sagte er, "und daran arbeiten wir ganz akribisch. Wir haben nur ein Leitmotiv: Das heißt Leistungsverbesserung und Leistungsoptimierung."

Ob Klinsmanns Unbeirrbarkeit ein Ausdruck von Souveränität ist oder ob er sich auf einen gefährlichen Kurs der Konfrontation begibt, wird sich erst noch erweisen. Das betrifft sein Festhalten am Erstwohnsitz Huntington Beach/ Kalifornien ("Wenn der eine oder andere sich beschwert, dass er mein Gesicht nicht oft genug sieht, dann kann ich ihm nicht helfen") wie den Drill der Nationalspieler.

Oliver Kahn ganz ruhig: Zeichen für eine kritische Phase

Doch nicht mal die Betroffenen wissen ja, ob sie das Programm überfordert. Dem Bremer Angreifer Miroslav Klose, der gegen China wieder einsatzfähig ist, resümiert die Gummiband- und Medizinball-Übungen der drei von Klinsmann hinzugezogenen amerikanischen Fitness-Spezialisten als Rätsel: "Ich sehe da die Trainingseinheiten der ganzen Amis und wie die in mir wirken - und wie ich einen bestimmten Muskel anspreche, von dem ich gar nicht wusste, dass es den gibt." Auch Klose will helfen. "Mehr Körpersprache setzen", empfiehlt er und will dabei gegen die Chinesen mit gutem Beispiel vorangehen, "damit sich die Jungen ein Beispiel nehmen."

In all diesem Durcheinander bietet der Aushilfskapitän Oliver Kahn ein Bild der Ruhe und Besonnenheit - was eigentlich ein untrügliches Zeichen ist für die Gegenwart einer kritischen Phase. "Vielleicht hat der eine oder andere Bundesligatrainer mit Blick auf die eigenen Spieler Angst, dass hier zu viel trainiert wird. Ich kann das allerdings nicht bestätigen", sagte er.

© SZ vom 12.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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