Nationalelf der Autoren:Mehr als Fußball

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Fußball und Literatur: Deutsche Schriftsteller treffen in Hamburg auf türkische Autoren. Der sportliche Vergleich war egal, es ging um den kulturellen Austausch.

Jürgen Schmieder

Vor dem Spiel feuerte Jörg Berger seine Spieler an, Spaß zu haben da draußen auf dem Feld. Denn: "Fußball spielen und singen, das kann man nicht erzwingen", sagte der Fußballtrainer, der in seiner langen Karriere bereits Schalke 04, Eintracht Frankfurt und Alemannia Aachen trainiert hatte. Nun saßen nicht Ingo Anderbrügge oder Uli Stein in der Kabine des Millerntorstadions in Hamburg - sondern Schriftsteller wie Albert Ostermaier ("Zephyr") und Moritz Rinke ("Republik Vineta"), die sich auf ein Spiel der Autoren-Nationalelf gegen die Türkei vorbereiteten.

Am Zaun des Millerntorstadions warteten zahlreiche Fans auf Hayko Cepkin. (Foto: Foto: Getty)

"Trainer, wir sind Autoren, wir brauchen einen Spruch, der mit Schreiben zu tun hat", rief einer. Berger, nicht nur ein ausgewiesener Fußballfachmann, sondern auch Autor des Bestsellers "Meine zwei Halbzeiten: Ein Leben in Ost und West", sagte sofort: "Okay, dann sagen wir: Fußball spielen und schreiben - wer's nicht kann, der lässt es bleiben." Dann schickte er seine Mannschaft aufs Feld.

Vor vier Jahren wurde die deutsche Nationalmannschaft der Autoren von Thomas Brussig ("Am anderen Ende der Sonnenallee") gegründet, die türkischen Schriftsteller spielen erst seit wenigen Wochen zusammen - und so kam am Ende ein 7:1-Sieg der deutschen Schreiber heraus. Die zeigten vor allem in der ersten Halbzeit ansehnliche Kombinationen, die nicht nur Jörg Berger, sondern auch die Zuschauer im Millerntorstadion begeisterten.

Die türkischen Spieler waren in den ersten 45 Minuten überfordert, kamen jedoch in der zweiten Halbzeit zu zahlreichen Gelegenheiten. Dass es nicht noch spannend wurde, lag vor allem an der famosen Leistung des deutschen Torhüters Albert Ostermaier. "Wir sind noch nicht so weit wie die Deutschen, körperlich wie fußballerisch", sagte der türkische Trainer Metin Yildiz, der früher bei Galatasaray Istanbul spielte. "Wir müssen härter trainieren, um Deutschland schlagen zu können. Aber ein paar Tore mehr hätten wir schon schießen können."

Der sportliche Vergleich der Autoren freilich war nur Rahmenprogramm einer Begegnung deutscher und türkischer Schriftsteller, der Fußball diente als Brücke zwischen den beiden Kulturen. "Schriftsteller leben gewöhnlich lieber für sich", sagte Dramatiker Moritz Rinke. "Fußball bringt sie zusammen, ob nun national oder international." Bereits am Montag waren die türkischen Autoren nach Deutschland gekommen, sie traten in türkischen Schulen auf und sprachen dort über ihr Land. "Viele der Schüler sind in Deutschland geboren", sagt Songwriter Harun Tekin. "Sie wollten wissen, was in ihrem Heimatland gerade passiert." Deshalb drehten sich die Diskussionen nicht nur um Literatur und Musik, sondern auch um Politik.

Nach dem Fußballspiel am Mittwoch dann gab es dann zahlreiche Lesungen im Millerntorstadion. Corny Littmann, Präsident des Zweitliga-Spitzenreiters FC St. Pauli, machte selbst Heiligtümer wie die Kabine von St. Pauli oder die Separés für die Zuschauer zugänglich. "Als uns die DFB-Kulturstiftung bat, unser Stadion für das Spiel zu öffnen, habe ich sofort zugesagt", sagte Littmann. "Und dieser Abend zeigt, dass es die richtige Entscheidung war." Die DFB-Kulturstiftung hatte die Veranstaltung perfekt organisiert, viele Zuschauer waren gekommen, um den Erzählungen der deutschen und türkischen Autoren zu lauschen.

Der Fußball stand dabei im Hintergrund, die Autoren setzten vielmehr auf politische und gesellschaftliche Themen. "Dieser Abend ist ein Forum", sagte der türkische Karikaturist Alpay Erdem. "Wir möchten den Zuschauern unser Land näher bringen, unsere Kultur, unser Leben." Für viele in Deutschland lebende Türken sei es die erste Gelegenheit gewesen, mit Autoren aus ihrer Heimat in Kontakt zu treten und mit ihnen zu diskutieren.

In der Mixed Zone etwa laß Jörg Berger aus seiner Autobiographie und beantwortete die Fragen des Publikums, Benedict Wells stellte in der Heimkabine des FC St. Pauli seinen Roman "Spinner" vor, Thomas Brussig im Ballsaal sein Monodrama "Schiedsrichter Fertig". In der VIP-Loge begeisterte Can Oz die Zuschauer mit seinem Text "Turkey and Football for Europe", in der Gästekabine Hakan Yel mit seinem Horror-Roman "Touching the Sultan".

Höhepunkt des Abends war der Auftritt des türkischen Musikers Hayko Cepkin, der im vergangenen Jahr mit dem MTV-Award als bester türkischer Künstler ausgezeichnet wurde. Er spielte Songs aus seinem Album "Tanisma Bitti" und die weiblichen Fans, die bereits während des Fußballspiels am Zaun auf Cepkin gewartet hatten, konnten den Rockstar nun zum ersten Mal live in Deutschland hören.

Bei aller Freundschaft war am Ende des Abends der Sportsgeist der türkischen Autoren wieder geweckt. "Wir wollen auf jeden Fall ein Rückspiel", sagte Kapitän Bagis Erten. "Und nachdem wir nun im wunderbaren Millerntorstadion spielen durften, kommt für die zweite Begegnung nur das Stadion in Besiktas in Frage." Diese Begegnung soll Ende Oktober ausgetragen werden - und obwohl das Sportliche im Hintergrund steht verspricht Erten: "Dieses Spiel wollen wir gewinnen."

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