Nachtslalom in Schladming:Rückkehr über die Furchen

Lesezeit: 3 min

Beim Aus von Felix Neureuther in Schladming überrascht ein anderer Deutscher: Dominik Stehle wird Vierter - und steht als 29-Jähriger vor einer zweiten Karriere im Weltcup.

Von Johannes Knuth, Schladming

Felix Neureuther blieb noch ein wenig länger. Sank in den weichen Schnee auf der Planai, wenige Meter unterhalb der Unfallstelle, wo er gerade mit seinem rechten Ski gegen eine Torstange geprallt war. Eingefädelt, ausgeschieden. Neureuther hockte nun also auf dem Hang, eine Minute, zwei Minuten, beladen mit seinem Kummer. Von dort bezeugte er, wie sie unten die Besten ehrten; Alexander Choroschilow aus Russland, den Dritten, Österreichs Ass Marcel Hirscher, er hatte sich von Platz 22 noch auf den zweiten Rang gedrängelt. Und mal wieder Henrik Kristoffersen, Norwegen, den Sieger, er war auf jenen Platz gerückt, der eigentlich für Neureuther reserviert war. Der 31 Jahre alte Deutsche hatte ja einen famosen ersten Durchgang aufgeführt, an den er einen passablen zweiten reihte. Bis ihm wenige Tore vor dem Ziel die Kontrolle entglitt.

"Ja. Ähm. Schon sehr schade", sagte Neureuther später tapfer, als seine Wut etwas verraucht war. Er redete über den verdammten Schwung, den er ein wenig zu früh eingeleitet hatte, und als Neureuther nicht mehr über sich reden mochte, lenkte er das Gespräch auf "den Domi". Dessen Arbeitstag habe ein freudigeres Ende genommen, befand Neureuther: "Reden wir lieber über den Domi, oder?"

Freud und Leid waren beim Slalom in Schladming am Dienstagabend enge Verwandte im Deutschen Skiverband (DSV), und für das Hochgefühl war diesmal ein gewisser Dominik Stehle zuständig, 29, vom SC Obermaiselstein. Stehle hatte den ersten Lauf als 39. aufgenommen, auf einer weichen Piste, durchzogen mit Spurrillen. Er wurde trotzdem in den zweiten Durchgang versetzt. Dort spülte es ihn auf Rang vier. "Ich kann es noch gar nicht richtig fassen", sagte Stehle, "das ist echt Wahnsinn." Er klang, als hätte er nicht mehr damit gerechnet, dass ihn sein Weg in die Spitze führt, am Dienstag und überhaupt.

Man muss rund neun Jahre zurückblättern, um Stehles Geschichte zu verstehen, bis zum Slalom 2007 in Kitzbühel. Der DSV hatte den damals 21-Jährigen zum ersten Mal ins Weltcup-Aufgebot gehoben; der Stehle, sagten sie, sei einer für größere Aufgaben. Karriereverläufe sind im Skirennsport allerdings in etwa so planbar wie Schneefall in diesen Tagen im Flachland, dafür treffen die Fahrer auf zu viele Unwägbarkeiten. 2009 riss Stehles Kreuzband. Als es nahezu verheilt war, riss es erneut. Dann schmerzte der Rücken.

Der Slalom kann ein gemeiner Wettstreit sein. Wer erfolgreich ist, wird mit guten Startnummern belohnt. Wer schlecht fährt oder ausscheidet, startet später, er muss die Bestzeit auf einer zerfurchten Piste jagen. Das mindert seine ohnehin schmalen Chancen, in die Elite vorzustoßen. Stehle mag nun glatte, harte Hänge, er ist auf eine unbefleckte Piste angewiesen, nur dann kann er seine Kunst vorführen, nahe an die Tore heranfahren, einen kurzen, schnellen Schwung fahren. Einen Schwung also, bei dem er die Kanten nur ganz kurz ins Eis presst, um sofort wieder Geschwindigkeit aufzunehmen. Auf den zerfurchten Pisten musste er die Kanten allerdings länger ins Eis drücken, um nicht wegzurutschen. Er fuhr bis zuletzt also nicht nur auf schlechteren Kursen, er fuhr auch mit weniger PS.

Belohnt für seine Ausdauer: Dominik Stehle, 29, reichte als Vierter beim Nachtslalom in Schladming sein bislang bestes Ergebnis im Weltcup ein. (Foto: Gepa/Imago)

Stehle wollte nach diversen Rückschlägen schon aufhören - Trainer Berthold stimmte ihn um

Stehle hatte über all die Jahre eine tiefe Zuneigung für den Skisport entwickelt, er hatte lange an der Tür zum Weltcup gerüttelt, da kehrt man nicht einfach um. Auch wenn die Tür lange verriegelt blieb. Bis zu diesem Winter wurde er 31-mal bei einem Weltcup-Slalom vorstellig, 29-mal scheiterte er an der Zulassung für den zweiten Lauf. 2014 strichen sie ihm die Förderung, Stehle finanzierte sich selbst, von der Liftkarte bis zum Hotel. Das war ihm dann doch zu viel. Unterdessen war der DSV Mathias Berthold aus Österreich ab, als Cheftrainer der Männer. In Österreich, sagte Berthold am Dienstag, hätte er sich nach einem wie Stehle "alle fünf Finger abgeschleckt - und hier ist er nicht in der Weltcup-Mannschaft". Er überredete Stehle, es noch einmal im Europacup zu probieren, der zweiten Liga des Skisports. Um dann, im aktuellen Winter, noch einmal das Projekt Aufstieg zu wagen.

Der Slalom kann ein gerechter Wettstreit sein, wenn man einmal in der Gesellschaft der Besten angekommen ist, und diese Mitgliedschaft nutzt Stehle in dieser Saison aus. Vor Schladming schob er sich fünf Mal in den zweiten Durchgang. In Schladming war er zunächst 22., und weil die Schlechtesten des ersten Laufs den zweiten Lauf eröffnen, fand Stehle eine härtere, unbefleckte Piste vor. Er fuhr eng an die Tore heran, einen schnellen Schwung. Nicht einmal eine halbe Sekunde trennte ihn am Ende vom dritten Platz.

Im DSV durften sie nun also zwei Zugänge vermelden: Neureuther, der nach einer lauwarmen ersten Saisonhälfte einen famosen ersten Lauf zeigte, was er neuen Skischuhen zuschrieb: Er könne dem Material wieder trauen, sagte er, "ich bin wieder der Alte". Und Stehle, der als 29-Jähriger, wenn sich andere Karrieren dem Ende zuneigen, seine Laufbahn im Weltcup eröffnet. "Er ist auf einem guten Weg, der noch nicht zu Ende ist", sagt Berthold über Stehle. "Ich bin auch für ihn happy", sagt Stehle über Berthold, "es haben ihn viele komisch angeschaut, als er damals gesagt hat, dass er mich unbedingt im Kader haben will."

© SZ vom 28.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: