Nachruf:Idol der Klatschspalten

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Gewann alles, was sein Sport hergab: Skispringer Matti Nykänen (Foto: Hans Paul/dpa)

Er trank gerne Bier, er lächelte, und er war einer der besten Skispringer der Geschichte, der alles gewann, was sein Sport hergab - zum Tode von Matti Nykänen, dessen Leben manche Medien konsumierten wie eine Seifenoper.

Von Thomas Hahn

Die Biografie von Matti Nykänen, die 2003 erschien, trug den bezeichnenden Titel "Grüße aus der Hölle". Um sie zu vermarkten, kam Nykänen damals zur Vierschanzentournee. Er reiste zu seinen alten Wirkungsstätten und entfaltete dabei jene seltsame Aura zwischen Rausch und Größe, die in Finnland längst ein Teil des Alltags geworden war. Ehrfurcht und Befremden begleiteten ihn. Beim Tournee-Empfang ließ er sich eine Gesangseinlage nicht nehmen. "Life is Life" auf Finnisch, Playback. Er trank Bier und lächelte. Beim PR-Auftritt in einem Einkaufszentrum in Salzburg-Kleßheim lag eine glasige Seligkeit in seinen Augen.

Er war zu laut, man sah ihm seine Alkoholsucht an. Trotzdem schaute ein Vater zu ihm auf und erklärte seinem Kind, das sei Nykänen, einer der besten Skispringer der Geschichte.

Matti Nykänen ist tot. Mit dieser traurigen Nachricht sind die Finnen am Montagmorgen aufgewacht. Sie waren überrascht, weil Nykänen erst 55 Jahre alt war, aber so richtig verwundert waren sie nicht. Das Leben des Matti Nykänen war auf Verschleiß angelegt, seine Alkoholsucht, seine bisweilen ins Handgreifliche ausartenden Streitigkeiten zeigten, dass sein Privatleben nicht gesund war. In den letzten Jahren war es ruhiger um ihn, trotzdem gab es immer wieder Nachrichten von seiner Trunkenheit. Außerdem war bekannt, dass Nykänen an einem Aufmerksamkeitsdefizit und an Diabetes litt. Sich kopfschüttelnd um Matti Nykänen Sorgen zu machen, war eine Regung, die alle Finnen vereinte.

Berühmt wurde er als Skispringer. In den Achtzigerjahren dominierte er seinen Sport. Er leistete sich damals schon Alkohol-Eskapaden. Aber an der Schanze funktionierte er. Er besaß Sprungkraft, ein Gespür für die Kräfte der Luft und einen ausgeprägten Instinkt für das richtige Timing beim Absprung. Nykänen gewann alles, was sein Sport hergab: viermal den Gesamtweltcup, zweimal die Vierschanzentournee, eine Skiflug-Weltmeisterschaft, sechsmal WM-Gold, viermal Olympia-Gold. Bei den Spielen von Calgary 1988 überragte er mit drei Erfolgen. Sein Rekord von 46 Weltcupsiegen hielt bis 2013, als der Österreicher Gregor Schlierenzauer ihn ausbaute.

Aber mit 27 war Nykänens Sportler-Karriere zu Ende. Er war kein begabter Schüler gewesen, hatte keine Berufsausbildung. Außer Skispringen konnte er nur eines wirklich gut: Nykänen sein, mit all seinen Schwächen und Abstürzen. Also wurde er ein Idol der Klatschspalten, ein Unterhändler des schlechten Geschmacks, eine Figur zwischen Absturz und mühsamem Balanceakt. Ein Nykänen eben. Er kellnerte. Er strippte. Er sang. Er verkaufte sein Privatleben an das Boulevardblatt 7 päivää (7 Tage).

Manche Medien konsumierten sein Leben wie eine Seifenoper

Und er hatte durchaus Erfolg. Bei seinen Stimmungsliedern traf er die Töne nicht, trotzdem verkauften sich seine ersten Platten gut. 2008 wurde er Ü40-Weltmeister im Skispringen. Sein Leben wurde verfilmt. Und bei 7 päivaa war man zufrieden. Reporter Kai Merilä sagte mal: "Wenn er auf dem Titelblatt ist, verkauft sich die Zeitung besser als normal."

Nykänen kannte seinen Wert. Er sagte: "Viele finnische Zeitschriften könnten mir Tantiemen zahlen." Aber seine Geschichten waren oft gar nicht lustig. 2004 musste er ins Gefängnis, nachdem der Streit um eine Partie im Fingerhakeln als Messerstecherei geendet hatte; 13 Monate blieb er in Haft.

Warum wurde Nykänen, wie er war? Er soll einen gewalttätigen Vater gehabt haben. Seine ersten Erfolge trafen ihn unvorbereitet als Teenager. Und damals im Einkaufszentrum von Salzburg-Kleßheim sagte der österreichische Olympiasieger und Skisprung-Philosoph Toni Innauer: "Menschen wie Matti Nykänen machen eine sehr intensive Ausbildung, mit 25, 26 ist diese Ausbildung nichts mehr wert. Er legt die Geige weg. Er geht in Frühpension, das ist die Härte."

Aber wahr ist auch, dass Teile der Medien-Gesellschaft Nykänens Leben konsumiert haben wie eine Seifenoper. Matti Nykänen wirkte lange wie ein Nationaltrinker, in dessen Wirrungen sich die Menschen im Land der langen Winter aufgehoben fühlen konnten.

Viele Finnen werden Matti Nykänen nun vermissen, und sie werden das aus besseren Gründen tun als die Blattmacher von 7 päivaa. Für die war Nykänens Tod die letzte Exklusivnachricht aus einer langen, rücksichtslosen Zusammenarbeit.

© SZ vom 05.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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