Nach Dopingsperre:Großverdiener mit leeren Taschen

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Der britische Leichtathlet Dwain Chambers soll Prämien zurückzahlen, die er vor seiner Dopingsperre gewann. Nun will er plötzlich pleite sein.

Michael Gernandt

In der schrillen Welt des Sports haben sich die Geschichten über den Dopingbetrug längst zu einer Kuriositätensammlung sondergleichen summiert. In ihr sind besonders die Ausreden der Ertappten in ihrer Bizarrerie nicht zu übertreffen.

Nur aber liegt der Fall eines Geständnisses vor, das es an Merkwürdigkeit aufnehmen kann mit den Ammenmärchen der Drogensünder. Es handelt sich um die Angelegenheit des britischen Sprinters Dwain Chambers. Der 2002 in München mit dem EM-Titel über 100 Meter und im September des gleichen Jahres als britischer Rekordmann (9,87 sek.) ausgezeichnete Leichtathlet war im August 2003 positiv getestet worden auf die lange Zeit nicht nachweisbare Designerdroge Tetrahydrogestrinon (THG) aus der Giftküche des kalifornischen Dealers Victor Conte.

Dessen Labor Balco in Burlingame steht für den größten Dopingskandal des US-Sports. Der Manipulation wegen musste Chambers zwei Jahre pausieren, seit 8. November 2005 indes ist er ein freier Mann.

Interviewwünsche der Medien hat Chambers während seiner Zwangspause trotz prächtiger Offerten allesamt ausgeschlagen. Der Mann schwieg wie ein Trappistenmönch - bis nach Ablauf der Sperre die BBC anklopfte, Chambers öffnete und sich offenbarte: Penibel die Schilderung der Verführung durch Conte ("Er erklärte mir, das neue Produkt würde mich ernährungstechnisch voran bringen"), herzzerreißend seine Reue ("Ich war einfach nur dumm, nicht ein paar Fragen zu THG gestellt zu haben"), erschütternd der Hinweis auf seinen sozialen Abstieg während der Strafzeit: "Ich landete in der Gosse."

Wirklich überrascht haben die Aussagen niemanden, wohl aber ein Statement, demzufolge er THG bereits 18 Monate vor dem Positivtest im August 2003 konsumiert habe. Diese Selbstbezichtigung bedeutete indes nicht mehr und nicht weniger als: Chambers lief gedopt sowohl beim EM-Sieg, als auch im Rennen mit Britenrekord, das der Ende 2005 aufgrund eines Indizienurteils aus dem Verkehr gezogene Balco-Kunde Tim Montgomery (USA) in Weltrekordzeit (9,78 sek.) gewonnen hatte.

In Großbritannien stellt man sich nun die Frage, ob Dwain Chambers zum Zeitpunkt des TV-Interviews Kenntnis hatte von der Tragweite seines aus freien Stücken erfolgten Geständnisses. Er begründete es damit, erwachsen geworden zu sein, als er kürzlich Vater wurde.

Das Regelwerk des Weltverbands IAAF, Paragraph 40, Absatz elf, sieht in einem solchen Fall nicht nur die Aberkennung von illegal erworbenen Titeln und Rekorden vor, auch alle Prämien, die ein Athlet dabei kassiert hat, sind zurück zu geben.

Und: Erst wenn die Rechnung beglichen ist, steht einem Neustart nichts mehr im Weg. Chambers ließ sich nach Berechnungen britischer Medien im 18-Monatszeitraum etwa 250.000 Dollar von der IAAF überweisen. Diese Summe wieder zu erstatten, sieht sich Chambers allerdings außerstande: Der Mann, der 2002/2003 zu den Großverdiener unter den europäischen Leichtathleten zählte, ist pleite.

Geplatzte Footballprofi-Karriere

Sein Geld, so heißt es, habe der einst auf großem Fuße lebende Sportler für den Rechtsbeistand in der Balco-Affäre ausgegeben. "Meine Taschen sind leer, ich muss nun ein bisschen Geld für meinen Lebensunterhalt verdienen", sagte Chambers in der BBC.

Die Briten sind neugierig, wie er das anstellen will. Da sein Versuch, bei den San Francisco 49ers als Footballprofi Fuß zu fassen, fehlschlug, wird er rennen müssen. Aber rennen kann er nur, wenn er bei der IAAF seine Schulden beglichen hat.

Das Comeback war für den 11. Februar geplant, der arme Teufel wollte in Sheffield die britische Qualifikation für die Hallen-WM in Moskau bestreiten. Gespannt warten die Leichtathleten von der Insel jetzt, wie die IAAF, die sich die Aufzeichnung vom BBC-Interview besorgt hat, den Fall Chambers II behandelt.

Sie kann dem Sprinter erneut Startverbot erteilen, ihn aber auch laufen lassen mit der Maßgabe, jeden frisch verdienten Dollar/Euro/Pfund sofort auf das IAAF-Konto in Monte Carlo zu überweisen.

Dass der Weltverband beide Augen zudrückt, ist unwahrscheinlich. Er könnte die Sache allenfalls noch pädagogisch angehen, indem er den vom Saulus zum Paulus konvertierten Schnellläufer Erziehungskurse belegen lässt. Thema: Wie Sport ohne Doping funktioniert. Gab's alles schon. Vor fünf Jahren verfuhr die IAAF so mit Chambers' Landsmann Mark Richardson.

© SZ vom 2.2.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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