Nach den Geständnissen:Die Tour der Tränen

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Aldag gesteht, Zabel gesteht, Bölts gesteht: Warum die Radprofis nun den Weg zur Wahrheit suchen.

Philipp Selldorf

Im Hauptquartier des Team-Sponsors am Bonner Landgrabenweg rieselt Beruhigungsmusik von Van Morrison aus den Lautsprechern, und zur Versorgung der Hundertschaften Reporter gibt es Brötchen, Mineralwasser, Apfelschorle und Obst. Ein garantiert sportgerechtes Büffet an einem sonnigen Donnerstagvormittag, an dem noch oft vom Ende des Sports die Rede sein wird - des Radsports zumindest. Aber vielleicht ist das, was die Radprofis Rolf Aldag und Erik Zabel im ,,T-Mobile-Forum'' offenbaren, ja auch nur der Anfang eines großen Enthüllungs- und Geständnisreigens im Hochleistungssport. Nicht nur die Radfahrer haben ein Drogenproblem.

Rolf Aldag gestand seine Doping-Vergangenheit. (Foto: Foto: dpa)

Als es dann los geht um kurz nach halb zwölf, begrüßt der Kommunikationschef des Hauptsponsors die Journalisten und die über zig Fernsehkanäle zuschauenden Zeugen mit dem ernstesten Gesichtsausdruck, den er seinem Mienenspiel abzuringen weiß. ,,In diesen Tagen ist ein Engagement im Radsport sicher nicht imagefördernd'', erklärt Christian Frommert im Namen seines Arbeitgebers und lässt ein Bekenntnis folgen, das erste an diesem Tag: Es ist weitreichend und wichtig für den Bestand des Profiradteams T-Mobile, aber harmlos im Vergleich mit den Bekenntnissen, die noch folgen werden. ,,Wir haben eine Vereinbarung bis ins Jahr 2010'', sagt Frommert, ,,und wir gedenken, diese fortzusetzen.''

Dann ist die Reihe an den Hauptdarstellern Aldag und Zabel, die jahrelang für die aus Bonn finanzierte Vorzeige-Mannschaft gefahren sind und dabei, wie hier längst jedem bewusst ist, illegale Hilfsmittel benutzt haben. Für sie ist der Anfang ihrer Rede ungleich schwieriger. Wie gesteht man vor einem Millionenpublikum, dass man jahrelang betrogen hat? Dass man auf stets dieselben Fragen stets dieselben Lügen serviert hat?

Aldag und Zabel haben - unter dem Druck einer unaufhaltsamen Entwicklung, aber immer noch freiwillig - entschieden, nicht länger Ausflüchte zu suchen, sie haben sich selbst auf die Anklagebank gesetzt, und nun müssen sie irgendwo anfangen mit ihrer traurigen Drogen-Geschichte. Aldag, 38, beginnt ganz vorn, als er im Jahr 1994, gerade in den Dienst des noch ziemlich bescheiden ausgestatteten Team Telekom eingetreten war und nach irgendeinem erfolglos beendeten Provinzrennen am Rinnstein saß und sich fragte: Wie soll das weitergehen? Und die Lösung seiner jugendlichen Sinnkrise sah er dann ganz einfach darin, dass er jetzt das tun würde, was sowieso alle wahren Profis tun. Sich künstlich beschleunigen.

,,Da hat es Klick gemacht''

,,Ich habe aktiv nachgefragt und mich aktiv fürs Doping entschieden'', fasst Aldag in Bonn zusammen, wie er den Fitmacher Epo kennen und wegen seiner eklatanten Wirkung schätzen lernte. Es klingt technokratisch, aber so ist es nicht gemeint. Später sagt er: ,,Für mich war Epo die Wunderdroge. Ich dachte, das ist unsere Sache, das bringt uns nach vorne im Ausdauersport.'' Bis ins Jahr 2002 ging das, dann brachte ihn eine Lieferung aus Holland, die wie Schmuggelware getarnt war, ins Grübeln. ,,Da hat es Klick gemacht. Das war der Schlussstrich.'' Als er endet mit seiner Erzählung, gibt es Beifall. Warum, das wissen nur die, die applaudieren. Immer noch begleiten eine Menge Romantiker den Radsport.

Lesen Sie im zweiten Teil: Was Jan Ullrich sagt.

Rolf Aldag aus Beckum in Westfalen war als Rennfahrer nicht sonderlich erfolgreich, er war ein Wasserträger der Edelfahrer Jan Ullrich und Erik Zabel und eigentlich nur den Kennern besser bekannt. Aber nach seiner Karriere wurde er berühmt, als er für das ZDF den Experten gab und die Tour de France kommentierte. Er machte das sympathisch, mit Witz und großem Wissen und - wenn wieder unvermeidlich die Rede auf das Thema Doping kam - immer mit der entschiedenen Bereitschaft, die Krankheit des Radsports mit den richtigen Worten zu geißeln. Er war einer von denen, bei denen selbst der besser informierte Zuschauer dachte, vielleicht auch denken wollte: Aldag ist sauber geblieben in diesem schmutzigen Gewerbe. Seine klare Ablehnung des Dopings führte schließlich dazu, dass ihn die Erbfolger seines alten Teams wieder engagierten: als sportlichen Leiter einerseits und als Vorkämpfer gegen Doping, der die Szene aus der Praxis kennt.

Vor etwa zwei Wochen vertraute Aldag seine Taten dann endlich dem Arbeitgeber an. Aber bis man gemeinsam einen Plan gefasst hatte, wie man es den Leuten mitteilt, kam Aldags früherer Kollege Bert Diez mit seiner Fernsehbeichte bei Beckmann zuvor. Dann folgte Christian Henn, dann Udo Bölts, lauter Mitstreiter aus der Zeit in Magenta. Deshalb nun der Auftritt im Forum in Bonn.

Und Ullrich schweigt

Auch Erik Zabel, 36, gehört zu denen, die immer Glaubwürdigkeit besaßen. Das beruhte auf seiner ehrlichen, ungekünstelten Art, und auch sein Talent prädestinierte ihn für die Unschuldsvermutung: Er war kein Ausdauerspezialist und kein Kletterkönig, er war nur der schnellste an der Ziellinie. Der Sprinter aus Berlin hat menschlich und sportlich alles mitgebracht, um der populärste deutsche Radprofi zu werden, wäre da nicht Jan Ullrich gewesen, das fehlbare Ausnahmetalent aus Rostock. Auch Zabel beginnt in Bonn seine Geschichte ganz von vorn, aber anders als sein Freund und Zimmernachbar in den alten Zeiten, Aldag, der bei seinen Eröffnungen gelöst, befreit und manchmal fast leichtsinnig wirkt, quält er sich mit den Worten und mit den Gefühlen, die ihn überwältigen. Zabel erzählt davon, wie er sich als 23-Jähriger nach argloser Benutzung einer Creme wegen Dopings verantworten musste. Den Tag, als er den Bescheid des Verbandes erhielt, empfand er als den schlimmsten seines Lebens: ,,Als ob du die Zeitung aufschlägst und deine eigene Todesanzeige liest.''

Er wurde jedoch freigesprochen, und zwei Jahre später war er dann lang genug im Radsportbetrieb, um systematisch in den Leistungsbetrug einzusteigen: ,,Dann kamen die Gerüchte, man kann eigentlich gar nicht mehr erfolgreich sein, ohne Doping zu benutzen'', sagt er. Zwar setzte Zabel nach einer Woche Praxis die Epo-Zufuhr wieder ab, weil er körperliche Probleme bekam, aber moralisch sieht er sich besudelt bis ans Ende seines Sportlerlebens. Den Einwand eines Journalisten, eine Woche Epo sei doch nicht der Rede wert, kontert Zabel beeindruckend: Er habe ja nur deswegen nicht dauerhaft Epo benutzt, weil er es nicht vertragen habe: ,,Ich war in einer sehr bequemen Situation, um Nein zu sagen.''

Zabel hat sich eingereiht ins üble System, weil er schweigend mitgemacht hat, und er fühlt sich schuldig deswegen. Als er erzählt, wie er den 14-jährigen Sohn Rik in seine Vergangenheit einweihte, gehen seine Sätze im Schluchzen unter. Diese Tränen sind echt, und sie kommen aus tiefster Seele.

Und Jan Ullrich? Über ihn wurde in Abwesenheit nicht gesprochen, sowohl Zabel als auch Aldag mochten nicht über den unseligen Helden reden. Doch der Tour-Sieger von 1996 hat durchaus auch etwas zu vermelden: ,,Pures Glück und Grund zur Freude'', wie er auf seiner Internetseite mitteilt. ,,Meine Frau Sara ist schwanger.'' Der Eintrag ist vom 10. Mai. Zu den Bekenntnissen der alten Kollegen sprechen nur Ullrichs Anwälte.

© SZ vom 25.5.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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