Motorsport:Relikt aus der Staubzeit

Lesezeit: 3 min

Zwölfter Streich: Der Franzose Stéphane Peterhansel (l.) hat die Rallye Dakar gewonnen. Der 50-Jährige kommt nun auf sechs Triumphe mit dem Motorrad und sechs mit dem Auto. (Foto: Marcos Brindicci/Reuters)

Wieder Stéphane Peterhansel: Die Rallye Dakar 2016 endet mit einem bekannten Sieger. Wie es mit der Veranstaltung langfristig weitergeht, ist eine spannende Frage.

Von René Hofmann

Vor einer Woche ging eine wunder- bare Meldung um die Welt. Die argentinische Zeitung El Tribuno berichtete, dass die Teilnehmer der Rallye Dakar in der Provinz Salta eine ungeplante Verzögerung hatten erfahren müssen. Auf der achten Etappe nach Belén stand die Fahrt durch den Nationalpark Los Cardones auf dem Plan, 26 Kilometer durch eine geschützte Landschaft, vorbei an vielen Kandelaber-Kakteen. Als die abenteuer- lustigen Schnellfahrer am Park eintrafen, erwartete sie eine Überraschung. Die Aufseher blockierten die Straße. Sie warteten, bis genügend Rennfahrer beisammen waren. Dann eskortierten sie diese in Gruppen durchs Naturschutzgebiet, penibel darauf achtend, dass die vorgegebenen Höchstgeschwindigkeiten zwischen 30 und 60 km/h eingehalten wurden.

Der Nachrichtenagentur dpa erläuterte einer der Blockierer das Vorgehen: "Eine neun Kilometer lange Schotterstrecke hätte befeuchtet werden sollen, um die umweltschädliche Staubwolke zu verringern." Der Dreck und die Motorengeräusche hätten zahlreiche Vogelarten in der Nistzeit stören können. Weil die Behörden bei den Rallye-Organisatoren die Schutzmaßnahmen aber nicht durchgesetzt hatten, hätten die acht Parkwächter auf eigene Initiative gehandelt. "Wir", so der Mann, "haben die Rallye gebremst, um den Umweltschaden in Grenzen zu halten."

Ziviler Ungehorsam gegen die lärmende Karawane: Das Phänomen ist neu in Lateinamerika. Und es steht in Kontrast zu den Bildern, die seit dem Start des Veranstaltung am 2. Januar in Buenos Aires jeden Abend Europa erreichten. Auf denen waren Autos, Motorräder, Quads und Lastwagen zu sehen, die durch atemberaubend schöne Landschaften jagten. Zuschauer, die am Wegesrand gespannt auf die Darsteller warteten und deren Vorbeifahrt ekstatisch feierten. Manchmal auch gestrandete, enttäuschte Teilnehmer, die von ihrem Material im Stich gelassen wurden, oder die all ihre Hoffnungen in den Sand oder den Matsch gesetzt hatten.

Kaum eine andere Motorsport-Veranstaltung produziert ähnlich viele packende Bilder wie die Dakar. Wahrscheinlich ist das der Grund, wieso es die Rallye noch gibt. In diesem Jahr wurde sie zum 37. Mal gefahren. Nach der kurzfristigen Absage 2008, als die französische Regierung wegen der Gefahr terroristischer Anschläge eine Reisewarnung für Mauretanien herausgab, wurde die Rallye von ihrem ursprünglichen Terrain in Afrika nach Südamerika verlegt. Geblieben ist der Image-prägende Name. Und die Gefahr.

Seit dem Umzug hat es jedes Jahr mindestens einen tödlichen Unfall gegeben. Vier Motorrad-Fahrer, zwei Journalisten und zwei Zuschauer ließen seit 2008 ihr Leben. Fünf Unbeteiligte starben im normalen Verkehrsfluss bei Zusammenstößen mit Rallye-Fahrzeugen. In diesem Jahr gab es den ersten Schock bereits auf dem Prolog. Da verlor die Chinesin Guo Meiling, die in ihrer Heimat mehr als tausend private Krankenhäuser betreibt und zum ersten Mal an der Dakar teilnahm, auf gerader Strecke an einer Bodenwelle die Kontrolle über ihren Rallye-Mini. Die 47-Jährige raste mit hoher Geschwindigkeit in eine Zuschauergruppe; es gab Verletzte. Auf der siebten Etappe wurde dann in Bolivien ein Zuschauer vom Mitsubishi des Franzosen Lionel Baud erfasst. Der 63-Jährige starb an der Unfallstelle.

Seit dem ersten Start 1979 kommt die Dakar auf fast 70 Tote. Tendenz: keineswegs fallend. Das provoziert Fragen. Auch in Europa. Beklagt wurden in diesem Jahr Wertungsprüfungen, die zum Teil über öffentliche Straßen mit Gegenverkehr führten, zudem - einmal mehr - ungenügende Regularien für die Zuschauer. "Mangelnde Sicherheit an den Rennstrecken und völlig überforderte Organisatoren" - so kommentierte der Sportinformationsdienst nach dem Baud-Unfall. Veranstaltet wird die Rallye von der französischen Firma A.S.O., die auch die Tour de France der Radsportler organisiert. Wie die A.S.O. in diesem Jahr mit dem Thema Sicherheit umging, sei "sehr bedenklich", notierte die Fachzeitschrift auto, motor und sport.

Die Dakar 2016 endete am Samstag in Rosario mit dem zwölften Sieg des Franzosen Stéphane Peterhansel . Wie es langfristig mit der Rallye weitergeht, ist eine spannende Frage. Neben den Teilnehmerzahlen und dem Zuschauerzuspruch gibt es noch einen Indikator dafür, wie populär eine Motorsport-Veranstaltung gerade ist: die Zahl der Hersteller, die sich werksseitig engagieren. Aktuell tut das bei der Dakar nur einer: Peugeot. Die Relevanz für Autohersteller habe ein besorgniserregendes Niveau erreicht - stellt das britische Fachmagazin autosport fest, zu dessen Geschäftsmodell es gehört, alles toll zu finden, was die Reifen quietschen lässt.

Welche Kategorie des Motorsports ist künftig gesellschaftlich noch akzeptabel? Die Autoindustrie beschäftigt sich intensiv mit dieser Schlüsselfrage. Die Hybrid-Technik hat die Formel 1 teuer gemacht, aber sie hat auch dazu geführt, dass Mercedes und Renault der Serie erhalten blieben, und dass Honda zurückgekehrt ist.

Beim Langstrecken-Rennen in Le Mans hat die Hybrid-Technik dazu beigetragen, dass sich so viele renommierte Marken duellieren wie lange nicht mehr: Porsche, Audi, Toyota, Nissan. Die Formel E, in der seit September 2014 allein elektrisch angetriebene Formel-Fahrzeuge gegeneinander antreten, verzeichnete kurz vor Weihnachten einen prominenten Zugang: das erste echte Werksteam. Jaguar kündigte an, die Bühne künftig nutzen zu wollen. Serienvermarkter Alejandro Agag glaubt, dies werde bald andere Hersteller nach sich ziehen, "wie bei einem Erdrutsch".

Sauber, urban, sicher: Das sind die drei großen Trends. Die Dakar wirkt im Gegenschnitt schon heute wie ein aus der Zeit gefallenes Relikt aus der verstaubten Motorsportgeschichte.

© SZ vom 18.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: