Monika Piel:"Solidarität funktioniert nicht"

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DIe WDR-Intendantin spricht über den Boykott der öffentlich-rechtlichen Sender, den Einstieg von Sat1 und die damit verbunden Konsequezen.

Hans Leyendecker

SZ: Frau Piel, mancher wie der Medienprofessor Josef Hackforth aus München beurteilt den Ausstieg von ARD und ZDF skeptisch: Eine weiterhin kritische Berichterstattung wäre die bessere Lösung gewesen. Stimmt das?

Monika Piel: "Die journalistische Berichtersattung geht weiter." (Foto: Foto: dpa)

Monika Piel: Wir haben zwar die flächendeckende Live-Berichterstattung gestoppt, werden aber weiter journalistisch berichten, wie bei jeder anderen Sportart auch. Leider geht es mit dem Dopingverdacht weiter, wie der aktuelle Fall Rasmussen zeigt. Auch dies gilt es journalistisch einzuordnen.

SZ: Hat Sie der Einstieg von Sat1 in die Tour-Berichterstattung überrascht?

Piel: Ja, diese Entscheidung hat mich geärgert, weil ich gehofft hatte, dass mit unserem Ausstieg eine gesellschaftliche Diskussion über die Kommerzialisierung im Sport und über Doping in Gang käme. Jetzt habe ich die Sorge, dass alles weitergeht wie bisher.

SZ: Glauben Sie, dass das Fernsehpublikum für Ihre Entscheidung Verständnis zeigt?

Piel: Das Publikum ist durchaus gespalten. Jeder zweite, der sich bei uns gemeldet hat, war froh, dass wir so konsequent waren. Die andere Hälfte der Zuschauer will Sport sehen, offenbar egal welchen und egal wie.

SZ: Vielen Sportbegeisterten ist gleichgültig, ob gedopt wird oder nicht?

Piel: Bei einer öffentlichen Debatte, die vermutlich nicht mehr stattfindet, hätte man genau darüber diskutieren können: Ist ein Sportler, der nicht manipuliert, der nach großem Kampf verliert, für die Zuschauer der Held? Oder zählt nur der Platz auf dem Siegerpodest?

SZ: Ist der Tour-Ausstieg eine Bevormundung des Publikums?

Piel: Ich habe der Entscheidung, auszusteigen, zugestimmt. Generell gilt: Wir sind nur Berichterstatter. Wenn wir die notwendige Distanz halten, muss der Zuschauer selber entscheiden, was er sehen will und was nicht.

SZ: Warum gilt dieser Leitsatz diesmal nicht? Sie zeigen ja nichts mehr.

Piel: Im Radsport gibt es Anzeichen fortgesetzten systematischen Dopings. Ein Betrugssystem kann man über den Sportrechtekauf mit dem Geld der Gebührenzahler nicht unterstützen.

SZ: Das System ist nicht neu, und die ARD hat lange mitgemacht.

Piel: Es gab da ein paar Sünden in der Vergangenheit. Wir hatten zum Radsport eine Nähe, die man als Berichterstatter grundsätzlich nicht haben sollte. Deshalb befanden wir uns, auch in den Augen der Öffentlichkeit, in einer besonderen Situation.

SZ: Noch einmal: Ist es mit dem Programmauftrag vereinbar, dass Sie gesellschaftliche Prozesse nicht nur beschreiben oder kommentieren, sondern zu lenken versuchen?

Piel: Letzteres ist nicht unsere Aufgabe. Unser publizistischer Auftrag umfasst aber durchaus das Anstoßen von wichtigen Diskussionen. Dabei überprüfen wir auch immer wieder unsere eigene Rolle. So erarbeiten die Sportredaktionen im WDR zur Zeit gemeinsam ein Positionspapier, aus dem Leitlinien für mehr Distanz in der Sportberichterstattung hervorgehen sollen.

SZ: Sport bringt Quote, und ohne Fernsehmillionen ist der Spitzensport nicht bezahlbar. Sind Sie nicht weiterhin Teil des Systems?

Piel: Das sehe ich nicht so. Wenn wir uns weniger spektakuläre Veranstaltungen anschauen, erkennen wir, dass wir unfreiwillig in das System hineinrutschen. Veranstalter bedrängen uns, ihre Wettkämpfe und Spiele zu übertragen, weil sie sonst keine Sponsorengelder bekämen. Dann falle alles zusammen. Als letztes Glied der Kette sollen wir so mit in Haft genommen werden. Das ist eine ungute Situation.

SZ: Um jetzt konsequent zu bleiben, müssten Sie auch bei anderen großen und verdächtigen Sportveranstaltungen aussteigen.

Piel: Warum? Für mich ist der entscheidende Punkt, ob eine Sportart strukturell verseucht ist. Machen die Ärzte mit, weiß der Verband von den Manipulationen? Das wäre für mich ausschlaggebend. Bei den letzten Schwimm-Weltmeisterschaften in Melbourne hat es aber beispielsweise nur Urin- und überhaupt keine Blutkontrollen gegeben. Da macht man sich seine Gedanken. Das Fehlen von effizienten Nachweisen ist jedoch noch kein Beweis. Wir sind keine Doping-Kommissare.

SZ: Können Sie nicht in den Verträgen Kontrollen festlegen?

Piel: Wir haben Dopingklauseln in alle neuen Verträge für Sportübertragungen eingebaut. Aber machen wir uns nichts vor. Da sind andere Wettbewerber auf dem Markt, und wenn diese, wie jetzt Sat1, sich für ein kritisches Thema wie Doping nicht wirklich interessieren, füllen sie die Lücke.

SZ: Wäre ein solidarisches Vorgehen der Fernsehanstalten vorstellbar?

Piel: Das funktioniert leider nicht. Es gibt eine Menge Sportarten, um deren Rechte sich viele Medien reißen. Das ist ein sehr harter Konkurrenzkampf.

SZ: Auch bei den Leichtathletik-Weltmeisterschaften in Osaka in diesem Jahr und natürlich bei den Olympischen Spiele in Peking 2008 wird es Doping-Probleme geben. Müsste die ARD nicht aus der Berichterstattung - in einigen Disziplinen zumindest - aussteigen?

Piel: Ich bin nicht für einen Automatismus. Wir werden wahrscheinlich leider immer mit ein, zwei Dopingfällen rechnen müssen. Aber ich halte es für ungerecht, wegen einiger schwarzer Schafe Wettkämpfe nicht zu übertragen. Damit schaden wir auch den Athleten, die ihr ganzes Sportlerleben hart auf dieses Ereignis hingearbeitet haben.

SZ: Finden Sie ihr Verhalten nicht inkonsequent? Ein Teil-Ausstieg bei den Olympischen Spielen würde einen Sturm der Entrüstung zur Folge haben. Beim Radsport wird der Stecker gezogen, bei anderen Sportarten wird weggeschaut.

Piel: Das ist nicht richtig. Der Radsport hat ein strukturelles Problem. Da sind die Beweise klar. Bei anderen Sportarten ist das nicht so. Außerdem finde ich das Verhalten mancher Zeitungen heuchlerisch. Die stellten uns an den Pranger, als seien unsere Reporter und nicht die Fahrer gedopt.

© SZ vom 21.7.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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