Mönchengladbach:"Normalerweise verlierst du so ein Spiel"

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Fast wie Chuck Norris: Mit der Kraft seines Mittelfingers verhindert Gladbachs Torwart Yann Sommer ein scheinbar sicheres Münchner Tor. (Foto: Lars Baron/Getty Images)

1:14 Torschüsse zur Pause: Lange waren die Borussen den Bayern klar unterlegen. Was dann passierte, erklärt nicht nur für Trainer Marco Rose, "warum wir stehen, wo wir stehen"

Von Philipp Selldorf, Mönchengladbach

Das Trikot, das Marcus Thuram dieses Mal auf den Eckpfosten steckte, trug die Nummer 25 und gehörte dem Mitspieler Ramy Bensebaini. Er sorgte noch mal mit ein paar Zupfern für den passenden Sitz des Textils, dann zog er die Stange aus dem Boden und die Freudenfeier von Mannschaft und Publikum konnte in die nächste Runde gehen. Thurams Jubelritual ist längst ein Klassiker als Zugabe im Borussia-Park, und der Sieg gegen den FC Bayern wurde selbstredend in XXL-Überlänge bejubelt. Als die letzten Borussen vom Rasen kamen, stand Joshua Kimmich schon straßenfertig vor den Reportern und kommentierte schlecht gelaunt die Lage. Mancher Journalist konnte hinterher nicht alles verstehen, als er die Sprachaufnahme abhörte - grölende Borussen-Profis hatten ihn übertönt.

Gladbachs Nummer 25, Ramy Bensebaini aus Algerien, hatte seine erste Danksagung an den Himmel gerichtet, als die Partie vorbei war. Vermutlich hat er Allah nicht nur wegen der drei Punkte zur Festigung der Tabellenführung Tribut gezollt, sondern auch wegen der zwei Tore, die er erzielen durfte. Das erste nach 60 Minuten per Kopf, das zweite gegen Manuel Neuer beim Elfmeter in der Nachspielzeit. Bensebaini schoss mit links ins - aus seiner Sicht - rechte Eck, Neuer hatte es geahnt, halten konnte er den platzierten Schuss trotzdem nicht, und so wurde Ramy Bensebaini der Mann, der den FC Bayern besiegte.

Außer seinem Schöpfer hatte er diese Ehre auch dem Ersatztorwart Tobias Sippel zu verdanken. Bensebaini hatte vergessen, dass er als Schütze für den Strafstoß vorgesehen war, erst Sippel brachte - laut in den Stadionlärm hineinrufend - die Regelung in Erinnerung. Schon hatte sich Breel Embolo angeschickt, den Job zu übernehmen. Embolo hatte am Sonntag zuvor den Pfosten getroffen.

Marco Rose ließ es an Komplimenten für den Doppeltorschützen Bensebaini nicht fehlen, noch mehr Freude machte dem Trainer aber das Gesamtbild, obwohl die Borussia während der ersten 50 Minuten wie der sichere Verlierer ausgesehen hatte. Diese Phase wusste Rose nicht anders zu deuten als jeder andere ("wir hatten den Mut in der Kabine gelassen"), umso wichtiger war ihm die Widerstandsreaktion nach dem 0:1. "Hohe Aussagekraft" habe die; die Mannschaft wisse jetzt: "Das haben wir drin. Daran sieht man, warum wir stehen, wo wir stehen."

Man habe "viel, viel Glück gehabt", mit 0:0 in die Pause gehen zu dürfen, sagte Torwart Yann Sommer, "normalerweise verlierst du so ein Spiel". Nach 45 Minuten stand die Torschussbilanz bei 1:14, und von diesen Versuchen verfehlten etliche nur knapp das Ziel. Als Sommer einen verdeckten Schuss von Kimmich passieren ließ, befand sich der Ball nur noch mit ein paar Millimetern Durchmesser auf der Linie - ehe ihn der Torwart mit einem magisch langen Finger vor der finalen Umdrehung stoppte. Die Pause sei wichtig gewesen, um neuen Mut zu schöpfen, sagte Rose, "aber wichtiger war" - so paradox das klingen mag - "das Gegentor". Statt geschockt, reagierten die Gladbacher mit Vorwärtsdrang. Zwei Auswechslungen unterstützten den Trend: Patrick Hermann und Embolo brachten Tempo und physische Präsenz ins Spiel. Der Trainer sah sich später genötigt, seine Startelf zu verteidigen: Der Kader biete eben einfach viele Möglichkeiten. Woraus sich auch einer der Unterschiede zwischen der aktuellen Borussia und ihren Vorgängermodellen ergibt: dass statt des offensiv aktiven, aber defensiv nachlässigen Oscar Wendt jetzt Ramy Bensebaini die linke Seite bearbeitet. Der Mann, der den FC Bayern besiegte.

© SZ vom 09.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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