Mittelstrecken:Zeiten, die den Argwohn schüren

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Die Weltrekordler Rudisha und Dibaba halten sich bei ihren WM-Siegen zurück, können der Doping-Debatte aber nicht entkommen.

Von Johannes Knuth, Peking

Über all die Rückschläge und Geschichten kann der 800-Meter-Läufer David Rudisha jetzt lachen, vor allem über die Nachricht vom angeblichen Karriereende. Eines Tages im Frühjahr 2014 las Rudisha im Internet, er habe seine Laufbahn beendet - ein Aprilscherz kenianischer Medien? Rudisha selbst wusste jedenfalls nichts davon, lustig fand er die Sache aber auch nicht. Ein Jahr lang hatte er sich mit Knieverletzungen herumgeschlagen, er hatte seinen Körper gerade so repariert, dass er an den Wiedereinstieg in sein Läuferleben denken konnte. Und jetzt steht Rudisha also auf der Bahn in Peking, gerade hat er die 800 Meter im WM-Finale in 1:45,84 Minuten hinter sich gebracht, mit komfortablem Abstand zum Polen Adam Kszczot (1:46,08) und Amel Tuka aus Bosnien-Herzegowina (1:46,30). Rudisha sagt: "Diese Goldmedaille bedeutet mir so viel. Vor allem nach all diesen Enttäuschungen."

Erstaunlich: Die letzten zwei Runden lief Genzebe Dibaba schneller als manche 800-Meter-Spezialistin. (Foto: Lucy Nicholson/Reuters)

David Lekuta Rudisha, 26, ist der Leichtathletik-Gemeinde vor allem durch seinen Auftritt bei Olympia 2012 im Gedächtnis geblieben. Rudisha taktierte extrem. War es überhaupt eine Taktik? Jedenfalls gestaltete er seine Rennen nicht nach der gängigen Lehrmeinung in dieser Disziplin, nach der man sich im Positionskampf eine gute Ausgangslage für die letzten Meter erarbeiten müsse. Er flüchtete einfach vor dem Feld. Und anstatt einzubrechen, holte ihn fast nie jemand ein, auch nicht in London. Rudisha kam nach 1:40,91 Minuten im Ziel an, den einst als unerreichbar geltenden Weltrekord des Dänen Wilson Kipketer (1:41,11) hatte er schon zuvor unterboten - und nun weiter verbessert. Man kann nicht in alle Tiefen eines Athletenkörpers tauchen, es gelten bis auf Weiteres die Bilder, die Rudisha an jenem August-Abend in London erschuf. Weitere Bilder dieser Art kamen erst mal nicht dazu, weil ihn der Verschleiß stoppte. Im Mai 2013 krochen Schmerzen ins Knie. Rudisha wurde operiert, später plagten ihn muskuläre Probleme im rechten Bein. "Es war richtig hart", sagt er. Anstatt dem Feld früh zu entkommen, lief er nach seinem Comeback so, dass er sich nicht verletzte. Er verlor einige Rennen, zuletzt in London gegen Nijel Amos aus Botswana; bei den kenianischen Meisterschaften wurde er Zweiter hinter Ferguson Cheruiyot. In Peking nun hatte er beide wieder unter Kontrolle. Im Finale klemmte sich Rudisha wie gewohnt vors Feld, er lief nicht gar so schnell wie sonst, aber was die Füße nicht hergaben, machte er wett, indem er den Konkurrenten dezent die Ellenbogen in die Seite knuffte. Es war diesmal kein Sprint über 800 Meter, sondern einer über 100 Meter.

Die Konkurrenz wieder im Griff: Kenias David Rudisha hat seine Verletzung überwunden. (Foto: Dylan Martinez/Reuters)

Rudisha fügte der kenianischen Bilanz eine weitere Goldmedaille hinzu, es war bereits die vierte in Peking. Kenia auf Platz eins in der Medaillenwertung, man kennt auch diese Bilder, der Glaube ist zuletzt jedoch merklich geschwunden; nicht zuletzt nach den jüngsten ARD-Enthüllungen, wonach Läufer in Kenia systemisch Blutdoping betreiben sollen. Es half der angekratzten Glaubwürdigkeit der Mittelstreckler auch nicht, dass die Äthiopierin Genzebe Dibaba am Dienstag die 1500 Meter gewann, ihre Siegerzeit war mäßig (4:08,09 Minuten). Es waren aber ihre letzten 800 Meter, über die alle staunten: 1:56,92. Das kriegen nicht viele 800-Meter-Spezialistinnen hin; Weltjahresbeste ist aktuell die Kenianerin Eunice Jepkoech mit 1:56,99. Es sind Zeiten wie diese von Dibaba, die den Argwohn weiter schüren. Die Äthiopierin hatte zuletzt in Monaco den Weltrekord über 1500 Meter auf 3:50,09 gedrückt. Die alte Marke gehörte der Chinesin Yunxia Qu, die in den Neunzigerjahren der dopingumtosten Läufergruppe des Trainers Ma Junren angehörte.

Der Laufmanager Jos Hermens steht im Bauch des Pekinger Vogelnests. Er kratzt sich an der Schläfe, dann sagt er: "Diese Dopinggeschichten, schwierig." Hermens hatte früher mal Kontakt mit dem spanischen Dopingarzt Miguel Peraita, kaum einer kennt die Szene so gut wie er, deswegen ist es interessant, was er zu erzählen hat. "Die Leute im kenianischen Verband sind korrupt, es ist unglaublich", sagt er: "Die schauen weg. Oder noch schlimmer: Wenn Athleten positiv getestet wurden, fragen sie diese nach Geld." Hermens glaubt nicht, dass die Allerbesten in Afrika noch schummeln, "die Spitze ist jetzt schon sauber", findet er. Der Leichtathletik-Weltverband (IAAF) und die Welt-Anti-Doping-Agentur (Wada) würden bei Dopingkontrollen mittlerweile gut arbeiten. Letzteres passt nicht so recht zu der Meldung, die die ARD am Dienstag verbreitete. Sportler in Kenia sollen demnach vorab über Dopingkontrollen informiert worden sein. Bei der Wada sind sie aber offenbar nicht allzu sehr besorgt. Man werde nicht eigenständig ermitteln, teilte Präsident Craig Reedie mit: "Die kenianischen Behörden wissen, welche Maßnahmen ergriffen werden müssen."

© SZ vom 26.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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