Michael Ballack:Die Wade der Nation

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Michael Ballack hat eine Verhärtung in der Wade und wird im Finale wohl nicht antreten können. Es könnte die tragische Geschichte eines Fußballers werden - zumal auch die Umstände der Verletzung ungeklärt sind.

Jürgen Schmieder, Wien

Für einen Sportler gibt es nichts Größeres, als bei einem großen Turnier im Finale auf dem Feld zu stehen. Der Spanier Andres Iniesta beschreibt es so: "Das ist das Spiel meines Lebens, das wird der schönste Moment meines Lebens, im Finale auf den Platz zu gehen." Direkt neben Iniesta sollte Michael Ballack durch den Tunnel schreiten und seine Mannschaft aufs Feld führen. Er sollte, wird aber wahrscheinlich nicht. Ballack kann offenbar aufgrund einer Wadenverletzung im Finale nicht spielen und wird nach dem WM-Endspiel 2002 das zweite Spiel seines Lebens verpassen.

Ob Kapitän Michael Ballack beim EM-Finale spielen kann, ist fraglich (Foto: Foto: AP)

"Die medizinische Abteilung arbeitet Tag und Nacht, um die Verhärtung und die Entzündung in seiner Wade zu heilen, es besteht aber nur eine kleine Chance, dass er spielen kann", sagte Joachim Löw auf der Pressekonferenz am Abend vor dem Spiel. Es bestehe eine kleine Hoffnung auf einen Einsatz. "Michael war sehr gefasst, weil es eben diese kleine Chance gibt. Wir werden uns erst kurz vor dem Spiel entscheiden", sagte Löw.

Wie es zu der Verletzung kam, ist nicht mehr genau zu bestimmen. "Wir wissen es nicht mehr genau. Er hat am Freitag Morgen etwas gespürt, dann haben die Ärzte die Entzündung gefunden", sagte Löw. Der DFB veröffentlichte die Nachricht von Ballacks Verletzung erst spät. Am Donnerstag wurde ein öffentliches Training abgesagt, was Anlass zu Spekulationen gab. Am Samstag dann die offizielle Erklärung: Ballack ist verletzt, sein Einsatz ist fraglich.

Es ist äußerst ungewöhnlich, dass ein Sportler erst 36 Stunden nach einem Spiel eine Verletzung bemerkt. Deshalb lässt die Ursache für Ballacks Wadenverhärtung Raum für Interpretation. Man fühlt sich erinnert an die WM-Vorbereitung 2006, als Ballack eine Verletzung - ebenfalls an der Wade - spät bemerkte und deshalb das Eröffnungsspiel gegen Costa Rica verpasste.

"Er ist die prägende Figur"

Es ist schon beinahe tragisch, wenn man die Worte Ballack und Finale in einem Satz nennt. Im Jahr 2002 wurde er mit Leverkusen Zweiter in der Bundesliga, seine Mannschaft verlor das Pokalfinale und im WM-Endspiel war er wegen einer zweiten gelben Karte gesperrt - die deutsche Elf unterlag Brasilien mit 0:2. Im Jahr 2006 verlor Deutschland im Halbfinale gegen Italien, Ballack blieb erneut das Endspiel versagt. In diesem Jahr dann unterlag er im Finale der Champions League mit dem FC Chelsea gegen Manchester United, nun könnte er erneut das letzte Spiel eines großen Turniers verpassen.

"Er ist die prägende Figur in unserem Spiel, deshalb wäre es schon wichtig, dass er spielt", sagte Thomas Hitzlsperger. Bei den Spaniern fehle mit David Villa jedoch auch einer der wichtigsten Spieler, deshalb solle man darüber nicht diskutieren. "Das steht mir nicht zu. Aber ich glaube, dass wir auf jeden Fall eine Chance haben, dieses Spiel zu gewinnen", sagte Hitzlsperger.

Die Wortwahl von Joachim Löw - der gewöhnlich jede kleine Chance zur großen Gelegenheit erklärt - lässt darauf schließen, dass ein Einsatz von Michael Ballack sehr unwahrscheinlich ist: "Wir müssen uns darauf einstellen, eine Alternative für Michael Ballack zu finden." Drei Szenarien tun sich derzeit für Löw auf, falls Ballack ausfällt.

Szenario 1 - Backup Borowski

Joachim Löw könnte sein taktisches 4-2-3-1-System beibehalten und an Ballacks Stelle Tim Borowski aufs Feld schicken. Borowski war schon während der WM 2006 der Ersatz für Ballack, allerdings war der Bremer in der abgelaufenen Saison häufig verletzt, in der Vorbereitung warf ihn eine Grippe zurück. Auch der mangelnde Rhythmus - Borowski kam bisher nur zu kurzen Einsätzen - spricht gegen diese Variante.

Szenario 2 - Rolfes

Auch bei dieser Variante müsste Joachim Löw keine Systemänderung vornehmen. Er könnte Simon Rolfes neben Torsten Frings ins defensive Mittelfeld stellen und Thomas Hitzlsperger nach vorne stellen. Hitzlsperger stellte seine Qualitäten als Spielmacher im Halbfinal gegen die Türkei unter Beweis, als er an allen drei Treffer beteiligt war.

Szenario 3 - Schweinsteiger

Diese Variante sprach Joachim Löw auf der Pressekonferenz direkt an: "Bastian Schweinsteiger kann diese Rolle auch sehr gut ausfüllen." Auf der rechten Außenbahn würde dann Clemens Fritz spielen, der gegen Polen eine formidable Vorstellung bot, danach jedoch das Vertrauen des Trainers verlor und im Viertel- und Halbfinale nur auf der Bank saß. Denkbar ist bei dieser Variante auch die Rückkehr zur 4-4-2-Formation mit Frings im defensiven Mittelfeld, Fritz und Hitzlsperger auf den Halbpositionen und Schweinsteiger hinter den Spitzen Klose und Podolski.

Die beste Variante allerdings wäre, die medizinische Abteilung würde einen Einsatz von Michael Ballack ermöglichen. "Wir tun alles dafür, damit er spielen kann", sagte Löw. Falls nicht, dann müssten eben andere einspringen. Ballack indes wird das wenig trösten. Er will bei diesem Finale dabei sein, er will es als prägender Spieler gewinnen.

Es liegt nun nicht an ihm - sondern an Doktor Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt und Physiotherapeut Klaus Eder. Dass sie medizische Schnellheilungen vollbringen können, haben sie 1996 bewiesen. Jürgen Klinsmann konnte nur wenige Tage nach einem Muskelfaserriss im Finale antreten - die deutsche Elf wurde Europameister.

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