Maradona:In der Radarfalle gestellt

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Trikottausch in Franken, Gaffen in München, Feiern in Frankfurt - auf den Spuren von Diego Armando Maradona.

Peter Burghardt

Seit einigen Wochen reist ein berühmter Argentinier durch Deutschland, angeblich heißt er Diego Armando Maradona und wurde 1960 in Buenos Aires geboren. In seinem Leben hat er sich oft überraschend verändert.

Als Fußballer war Maradona ein bisschen pummelig, aber ungeheuer wendig und trickreich. Er schoss sagenhafte Tore, und nie wusste man, wo er als nächstes hindribbelt, den Ball am Fuß, die Nummer 10 auf dem Rücken.

Er wurde Weltmeister, der beste Spieler der Erde, die Hand Gottes, das wichtigste Lebewesen vom Rio de la Plata. Er begann zu koksen, feierte Orgien, flog wegen Dopings aus der WM, schoss mit dem Luftgewehr auf Journalisten. Sein Wuschelkopf färbte sich orange, das Gesicht quoll auf, und als El Pibe de oro, der Goldjunge, aufhörte, da wurde sein Körper so rund wie sein liebstes Spielzeug.

Noch vor einem Jahr wog er 130 Kilogramm, spielte nächtelang Golf, einen Bergarbeiterhelm mit Halogenlampe auf dem Kopf. Er wurde herzkrank, floh nach Kuba zu Fidel Castro, kehrte heim, unterzog sich einer Entziehungskur, kam vorübergehend in eine psychatrische Anstalt.

Das Volk betete

Er landete auf der Intensivstation und wäre fast gestorben, das Volk betete. Er stand wieder auf, ließ sich den Magen verkleinern, zog wieder bei Vater und Mutter ein.

Er bekam eine TV-Show, die Nacht der Zehn, interviewte Castro. Nun befindet er sich in Alemania, um die WM zu sehen und gelegentlich für den spanischen Sender Cuatro zu kommentieren. Anders als Franz Beckenbauer bewegt er sich nicht im Hubschrauber und trägt auch keine Anzüge.

Man weiß nie genau, wo er ist. "Absolut unvorhersehbar, sehr schwer zu führen", sagt ein Cuatro-Produzent. Seine Wege erinnern an die eines Felltiers, das gerade ein trauriges Schicksal erlitt.

Aber Diego lebt, und es gibt immer wieder Orte, wo das Phantom gesehen wird. Eine Spurensuche.

Hotel Herzogspark, Herzogenaurach. Vor dem Trainingsquartier der argentinischen Auswahl parkt gelegentlich ein alter VW, darauf steht auf Spanisch: "Der Papst ist Deutscher, Gott ist Argentinier. Diego X." Eines Mittags trifft ein neuer VW-Transporter ein, Farbe schwarz, ihm ensteigt jemand, der aussieht wie Maradona, begleitet von seiner geschiedenen Frau und Managerin Claudia, seiner ältesten Tochter Dalma, einem Freund namens Alejo, einem Assistenten namens Diego und einem riesigen kubanischen Leibwächter.

"Ich komme als ganz normaler Fan", berichtet der Überraschungsgast und erklärt, weshalb er tags zuvor die WM-Eröffnungsfeier geschwänzt hat. "Ich bin weder wegen Pele noch wegen Beckenbauer hier, sondern um die WM zu genießen und Argentinien zu unterstützen."

Er isst, raucht Zigarre, telefoniert und spricht mit den Spielern. Die sind begeistert. "Er ist unser Idol und ein Idol für die Menschen", sagt Stürmer Carlos Tevez, "wenn er auftaucht, bringt er uns zum Lachen, und wenn er geht, fühlen wir uns stärker als wir wirklich sind." - "Lauter kleine Maradonas", schreibt der Guardian über Tevez, Saviola, Messi.

Am Mittwoch vor dem Viertelfinale kommt er noch mal vorbei, nimmt die Trikots von Tevez, Ayala und Sorin mit und lässt sich mit ihnen fotografieren. Weitere Besuche werden angekündigt, bleiben aber bei Gerüchten.

"Wir wissen nicht, wo er ist", sagt ein argentinischer Journalisten, "und wir wollen auch möglichst wenig davon wissen."

Arena, Hamburg-Stellingen. Die Kameras wenden sich vom Spielfeld ab und rücken auf der Tribüne einen hüpfenden und singenden Anhänger mit blitzendem Ohrring ins Bild. Er steckt wie ungefähr 30.000 weitere Argentinier auf den Rängen in einem himmelblauweiß gestreiften Dress der Albiceleste, allerdings von jener Art, wie er es 1986 beim letzten argentinischen WM-Titel getragen hatte, Firma Le Coq Sportif, der heutige Ausrüster ist Adidas.

Umgeben wird Maradona von der genannten Entourage, an den Hälsen baumeln Vip-Ausweise der Fifa. Für europäische Betrachter ist der Anblick ungewöhnlich, doch so ähnlich tritt er bei jedem Heimspiel seines Herzensklubs Boca Juniors in seiner Loge in der so genannten Bombonera auf, der Pralinenschachtel.

Nachher erfährt man, dass er vorher in die Kabine hinabgestiegen war, um der Mannschaft Glück zu wünschen, sie gewinnt 2:1 gegen die Elfenbeinküste. "Es war sehr emotional, sehr motivierend", sagt Verteidiger Nicolas Burdisso. "Es war sehr, sehr schön", sagt Torschütze Hernan Crespo, "außerdem hat er die Leute wild gemacht". - "Dieeego, Dieeeego", rufen die Landsleute, auch Trainer Jose Pekerman bedankt sich für den Beistand der Ikone, die ihn bis vor kurzem für überfordert gehalten hatte und ständig den Einsatz seines Lieblingstalents Lionel Messi fordert.

So ungefähr geht es bei allen argentischen Spielen zu, oft sind bei Maradona Havannas und hochstielige Gläser mit sprudelndem Inhalt zu erkennen.

München, Arena und Stadt. Nach 18 Minuten beginnt sich das Publikum der Begegnung Brasilien gegen Australien zu langweilen, dann kommt Bewegung in die Menge. Das Interesse verlagert sich von Ronaldo und Ronaldinho zu einem untersetzten Zuschauer mit schwarzer Kleidung, Sonnenbrille und dampfender Zigarre.

Reporter lassen sich mit ihm fotografieren, manche stellen Fragen. Maradona antwortet, Brasilien sei gut, aber Argentinien sei fantastisch. Für längere Gespräche verlangt er 20000 Dollar und mehr, während dieser WM gibt er gar keine Interviews.

Für eine brasilianische Getränkefirma hat er kürzlich ein gelbes Nationaltrikot Brasiliens angezogen, Argentinien war entsetzt. Zur Halbzeit verschwindet er spurlos, Teil zwei schaut er sich vermutlich in seinem Münchner Hotel an. "Er sieht sehr gerne fern, er liebt Plasmabildschirme", erläutert sein Vertrauter Marcelo Palacios von Radio Mitre. Maradona habe ein unglaubliches Fachwissen und ein großartiges Gedächtnis. Es ärgere ihn nur, dass er das deutsche Fernsehen nicht verstehe.

Autobahn A 3, Hamm-Uentrop. Ein Verkehrspolizist stoppt gegen 23 Uhr einen VW Sharan, der an einer Baustelle mit 120 Kilometern pro Stunde vorbeirauscht statt wie erlaubt mit 80. Als der Fahrer die Scheibe herunter fährt, zeigt sich der leibhaftige Diego Maradona, der gerade vom argentinischen 6:0-Sieg gegen Serbien/Montenegro auf Schalke zurückfährt. Der zahlt 95 Euro Buße und setzt seine Reise fort. Früher hätte er sich mehr aufgeregt, sagen Leute, die ihn kennen. I

n Buenos Aires fuhr er nach einem Unfall weiter, am Flughafen in Rio ging er einem Kontrolleur an den Kragen. Deutschland sei toll, sagt Assistent Diego, nur flexibler sollten die Deutschen sein. Nach elf gebe es oft nichts mehr zu Essen, und um nicht frühzeitig bestellte Karten müsse man sich oft streiten. Einmal verzog sich Maradona fluchend ins Auto, bis sein Anhang mit Tickets ausgestattet war. Diego, der Helfer, fand ihn allein auf einem Stadionparkplatz.

Frankfurt, Pizzeria Macchiavelli. Maradona feiert das 20-jährige Jubiläum seiner legendären Treffer mit Hand und Fuß gegen England, vorher hat er dem 0:0 gegen Holland beigewohnt und Michel Platini sowie Prinzessin Maxima begrüßt.

Beim Dinner nach Mitternacht mit Freunden und dem Musiker Fabian Füchschen Quinitiero wacht wieder Tochter Giannina, die bald ins Bett geht und mittlerweile wie Schwester Dalma und Mutter Claudia heimgeflogen ist. Es gibt Thunfischcarpaccio, Trüffelspaghetti, Fisch, Rotwein und Champagner, wobei der Gastgeber wegen seines Magens in kleinen Bissen essen und langen kauen muss.

"Wir werden zurückkommen und Weltmeister wie 1986", grölt Maradona. "Wir sind die Besten, wir sind unschlagbar. Ich bin so froh, hier zu sein, ich fühle mich wie zu Hause." Bild hat eine Spionin eingeschleust. Aber es sei nicht so, wie man sich das vorstelle, versichert Aufpasser Diego. "Er ist hier, um zu arbeiten, mit seiner Familie zu sein und Fußball zu sehen. Er hat die Lektion gelernt, die ihm das Leben gelehrt hat."

Leipzig, Zentralstadion. "Maradona kokst", spotten mexikanische Fans im Chor. Maradona rächt sich und leiht Maxi Rodriguez seinen linken Fuß. "Das war mein Linker", sagt er. "Das war sein Linker", sagt Rodriguez, der mit links das 2:1 schießt. Zwischendurch hüpft Maradona über die Sitzreihen, um den Anzugträger Beckenbauer zu herzen.

Hannover, Niedersachsenstadion. Maradona sitzt auf der Pressetribüne, auf der nicht geraucht werden soll, raucht Zigarre und kommentiert die spanische Niederlage gegen Frankreich.

Berlin, Olympiastadion. Maradona will Argentinien zum Triumph über Deutschland führen.

© SZ vom 30.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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