Jürgen Klopp hat noch in Ruhe eine Zigarette geraucht, er stand dabei im Bauch des Mainzer Stadions am Bruchweg und unterhielt sich mit einem Mann von Fernsehen , während ein weiterer Mann vom Fernsehen ihn unablässig filmte. Dann hat er die Zigarette ausgedrückt und ist langsam in einen anderen Raum im Bauch des Stadions gegangen, wo er sich auf ein Podium setzte, von dem herab er wenig später einen wirklich guten Fußball-Witz fallen ließ.
Klopp wurde gefragt, wie seine Mannschaft, der FSV Mainz 05, am Samstag gegen den Hamburger SV spielen könnte, und später, wie wohl der HSV auftreten würde. ,,Die werden wohl eher offensiv spielen'', sagte Klopp. Dann dauerte es zwei Sekunden, ein Lächeln erschien auf seinem Gesicht, und Klopp sagte: ,,Vielleicht hat der HSV allerdings unsere Spiele analysiert und sagt sich jetzt: ,Lass die mal kommen'.'' Dieser Witz funktionierte wie ein Stein, der in die Mitte eines Sees geworfen wird. In wachsenden Ringen breitet sich die Welle nach dem Wurf aus, und so war es nun mit Klopps Witz, der sich über die Stille zog. Und wie die Ringe nach einer einer Weile das Ufer erreichen, kam Klopps Witz in den Köpfen der Zuhörer an. Sie lachten.
Der Witz braucht in der Tat eine Weile. Er bezieht seine Komik daraus, dass Mainz am vergangenen Spieltag 0:4 in Schalke verloren hat und alle Treffer nach Kontern gefallen sind. Mainz ist Tabellenletzter, das Spiel bei Schalke war der bisherige Tiefpunkt der Saison, weil die Mannschaft sich wirklich dämlich angestellt hatte, und dass Klopp nun diesen Witz so lässig dahinwarf, zeugt von einer erstaunlichen Fähigkeit zur Selbstironie. Wer das in so einer Lage kann, um den muss man sich keine Sorgen machen. Einerseits. Denn wer Klopp einen Strick drehen will, kann den Witz auch als Galgenhumor deuten.
Klopp einen Strick drehen zu wollen - das ist in Mainz so etwas wie Gotteslästerung. Das lag lange außerhalb jeder Vorstellung, aber zuletzt gab es vereinzelt Pfiffe im Stadion, und in der örtlichen Ausgabe der Bild stehen nicht mehr die freundlichen Berichte über ,,Kloppo'', sondern düstere Artikel, die nahelegen, Mainz gehe unter.
Im Presseraum der Mainzer hängt eine mannshohe Bundesliga-Tabelle, auf Platz 18 steht, rot hervorgehoben: FSV Mainz 05. Ein Kameramann filmte am Donnerstag die Tabelle, dann schwenkte er zum den Podium, auf dem Klopp saß, das ging so eine ganze Weile, Tabelle, Klopp, Tabelle, Klopp, und es braucht kein abgeschlossenes Studium der Kryptologie, um diese Symbolik zu entschlüsseln.
Die Münchner Abendzeitung schrieb in dieser Woche: ,,Letzter! Aber Klopp weiß alles - im TV''. Der Mainzer Trainer tritt im ZDF bei Spielen der deutschen Nationalelf als Experte auf, und da am Mittwoch dass Spiel gegen Zypern anstand, war er im Fernsehen zu sehen. Es war ein schlechtes Spiel, doch Klopp kritisierte verhalten. Es ist eine eher unglückliche Konstellation, dass der Trainer des Tabellenletzten die Fehler der Nationalelf analysieren soll. So muss Klopp nun mit etwas leben, was es in Mainz nicht gab, seit er Trainer ist, mit Häme.
Dabei gibt es eine einfache Erklärung für die sportliche Misere. In der ersten Bundesliga-Saison 2004/2005 konnten sich die Mainzer mit ihrer eingespielten Mannschaft behaupten, in der zweiten mussten sie kaum Weggänge verkraften, und nun, in der dritten Saison, stehen sie mitten im Umbruch. Ersetzen müssen sie Thurk, Auer, Zidan, da Silva und Abel, also den Sturm, den Kreativspieler und einen wichtigen Verteidiger. Stuttgart und Schalke haben sich in Mainz bedient, Zidan war nur ausgeliehen aus Bremen, Thurk wollte mit aller Macht nach Frankfurt, nur von Auer hat man sich willentlich getrennt. ,,Bei den anderen konnten wir schlicht nichts machen'', sagt Manager Christian Heidel.
Jetzt gibt es viele neue Spieler in der Mannschaft, und Dimo Wache, seit 1995 Torwart in Mainz und seit 1999 Kapitän, sagt gelassen: ,,Die müssen das Gegen-den-Abstieg-kämpfen eben erst noch lernen.'' Wache ist ein sehr großer Mann, der sanft wirkt und mit ruhiger Stimme spricht. So ruhig und so sanft, dass es im ersten Moment kaum auffällt, als er sagt, er würde sich freuen, wenn man allen, die Mainz jetzt abschrieben, im Laufe der Saison das Maul stopfen könne. Seine Stimme hat sich kein bisschen verändert, aber er hat es wirklich gesagt, mitten im ruhigen Redefluss erklang plötzlich ,,das Maul stopfen''. Das entfaltet eine schöne Wirkung, wie bei einem Killer in einem Mafia-Film, der beim Eintreiben des Schutzgeldes lächelnd sagt: ,,Die Nudeln waren ein Gedicht. Wenn das Geld bis morgen nicht da ist, schneiden wir Dir den Daumen ab. Und, ach, grüß' Deine Frau von mir.'' Man kann sich vorstellen, dass Wache ein guter Kapitän ist, und dass er seinen Mitspielern vermitteln kann, wie dieses Gegen-den-Abstieg-kämpfen geht.
Klopp ist noch länger als Wache im Verein, seit 1990 als Spieler, 2001 wurde er Trainer, und er wird auch noch eine ganze Weile im Verein bleiben. Präsident Harald Strutz, seit 1988 im Amt, sagt: ,,Wir werden Jürgen Klopp hier nie rausschmeißen. Die Mechanismen der Branche sind bei uns ausgeschaltet.'' Ob es denn vielleicht die Möglichkeit gebe, dass andere Gremien im Verein zu der Überzeugung gelangen, man sollte den Trainer wechseln, und ob diese vielleicht die Macht haben könnten, diese Überzeugung durchzusetzen? ,,Nö'', sagt Strutz.
Mit 33 zum Trainer berufen
Manager Heidel sagt: ,,Wir werden Jürgen Klopp nicht rausschmeißen, weil wir überzeugt sind, dass es keinen besseren Trainer für Mainz 05 gibt. Wenn ich den Eindruck hätte, es gäbe einen besseren, dann hätte ich kein Problem damit, zu ihm hinzugehen und zu sagen: ,Du, Jürgen, wir probieren was Neues'.'' Diese Sorge hätte Heidel wohl wirklich nicht, denn er hat schon einmal bewiesen, dass er in der Lage ist, etwas wirklich neues zu probieren. Als Klopp Trainer wurde.
Am Karnevalssonntag 2001 hatte Mainz verloren, Aschermittwoch stand das nächste Spiel an. Heidel überlegte, es war Rosenmontag, Ausnahmezustand in Mainz. Dann hatte er die Idee, es ohne Trainer zu probieren, und der 33 Jahre alte Spieler Klopp, der gerade verletzt war, sollte auf der Bank sitzen und die Dinge regeln. Er rief den Präsidenten an, der gerade auf einen Festwagen beim Rosenmontagszug weilte und durch den Lärm seine Zustimmung ins Telefon rief. Heidel klingelte Kapitän Wache an, der ebenfalls zustimmte. Dann rief er Klopp an, ,,der hat nach zehn Sekunden zugesagt''. Schließlich erzählte Heidel Trainer Eckhard Krautzun, wie die Dinge lagen, und der sagte: ,,Ihr seid verrückt.'' Klopp holte danach 19 von 21 möglichen Punkten.
In dieser Saison hat er acht von 36 möglichen Punkten geholt, und doch wird er weitermachen können in Mainz, bis in den Abstieg, wenn es sein muss. Die Partie gegen den Hamburger SV - ein Schicksalsspiel? Klopp schüttelt den Kopf. ,,Es wird kein Fußballspiel der Welt schaffen, mich als Mensch zu verändern'', sagt er. Und als Trainer, fragt jemand. ,,Ein Trainer ist zuerst Mensch'', sagt Klopp, und das ist auch so ein Satz wie ein Stein, der in die Mitte eines Sees geschmissen wird.