Mainz 05:Der Zug kommt

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Glücklicher Abschluss eines turbulenten Jahres: Nach einem 4:2 gegen Frankfurt und langer Wartezeit auf das Ergebnis aus Wolfsburg feiert der FSV den Klassenerhalt.

Von  Johannes Aumüller, Mainz

Was kann es in so einem Moment Brutaleres geben, als warten zu müssen? Eine wirklich großartige Partie liegt hinter den Mainzern, sie haben aus einem 0:2 gegen Frankfurt noch ein 4:2 gemacht, und jetzt ist ihr Spiel aus und sie möchten schreien, jubeln und explodieren. Aber das dürfen sie alles nicht, denn sie wissen leider noch nicht, was ihr Ergebnis wert ist. Sie müssen erst warten, bis der Abstiegskampf-Rivale Wolfsburg das wetterbedingt unterbrochene Spiel gegen Mönchengladbach wieder aufnimmt und beendet, und das dauert und dauert und dauert. Insgesamt 30 Minuten lang.

Es gehört zur DNA eines Fußballers, dass er in kritischen Phasen rennen, kämpfen, schießen, zur Not auch nur von der Bank aus die Kollegen anpeitschen kann; dass er jedenfalls irgendwie aktiv sein kann, aber jetzt können die Mainzer einfach gar nichts machen. Außer zu warten. Eine halbe Stunde lang stehen, sitzen oder tigern sie umher. Trainer Martin Schmidt will keinen Monitor und keinen Liveticker um sich haben. Zwischendurch schauen sie sich auf dem Videowürfel noch mal die vier eigenen Tore gegen Frankfurt an, Niko Bungert verteilt Wasser an die bangenden und dürstenden Fans. Irgendwie versuchen sie ruhig zu bleiben, Leon Balogun sagt: "Das ist wie auf den Zug warten, er kommt vielleicht zu spät, aber er kommt." Aber zumindest älteren Mainzern geht 2003 durch den Kopf, da standen sie schon mal so rum, in Braunschweig, und wähnten sie sich nach einem Sieg als Erstliga-Aufsteiger - bis sie von Frankfurts Last-Minute-Tor zum 6:3 gegen Reutlingen erfuhren und in Tränen ausbrachen.

Die Mainzer rühmen sich, dass sie am Trainer festhielten. Anders als alle Konkurrenten

Irgendwann kommt es wie eine Breaking News daher, Wolfsburg gegen Gladbach, 1:1, das reicht für den Klassenerhalt. Zumindest so lange kein fußballferner Mathematik-Professor die Tabelle anschaut. Der könnte natürlich problemlos vorrechnen, dass es am letzten Spieltag doch nur ein knappes 1:0 von Hamburg gegen Wolfsburg brauchen würde sowie eine Niederlage der Mainzer in Köln mit zehn Toren Differenz - schon wären die 05er auf dem Relegationsplatz. Aber alle anderen Menschen dieses Erdkreises und insbesondere jene innerhalb der Gemarkung Mainz lesen die Tabelle so, dass es zum Klassenerhalt reicht. Und so beginnt mit halbstündiger Verzögerung die große Feier.

"Es ist so seltsam, dass du ein absolut geiles Spiel machst, und am Schluss redest du vordergründig nicht über das Spiel, sondern über die Wartezeit", sagte Trainer Schmidt und dachte an den spektakulären Verlauf: Erst lagen sie durch Tore von Branimir Hrgota (42.) und Haris Seferovic (50.) mit 0:2 zurück, und dann folgte ab Minute 60 ein nicht mehr für möglich gehaltener Gegenschlag. Erst traf Jhon Cordoba, kurz danach Stefan Bell (62.), dann Yoshinori Muto (76.), und kurz vor Schluss ließ Pablo de Blasis mit seinem Elfmeter das Stadion ausflippen. Aber vielleicht, so Schmidt, "passt das auch zu unserer Saison".

Sie haben in der Tat auf vielen Ebenen eine bemerkenswerte Spielzeit hinter sich beim FSV Mainz, und es ist die Frage, welche Konsequenzen sie nun daraus ziehen werden. Vor einem Jahr endete eine Ära, als Manager Christian Heidel den Klub verließ und für ihn Rouven Schröder kam. Später spitzten sich die Diskussionen um Amtsführung und Verdienst des Langzeit-Präsidenten Harald Strutz so zu, dass der seinen Rückzug ankündigen musste. Rein sportlich begannen die Mainzer in der Europa League und mit dem personell vielleicht besten Kader seit ihrem Aufstieg 2009; am Ende und aufgrund eines Absturzes nach der Winterpause mussten sie so lange zittern wie noch nie seit 2009 - und sich oft anhören, zu leidenschaftslos aufzutreten. Parallel dazu zog eine Zuschauerdiskussion auf, weil in vielen Heimspielen viele Plätze leer blieben. Doch nun wollte Sportdirektor Schröder den Klassenerhalt und den großen Jubel des Anhangs als Signal deuten: "Das ist wie ein neuer Anfang und ein kleiner Aufbruch für uns. Das zeigt den Leuten: Es geht hier auch mit neuen Gesichtern und einem neuen Geist voran."

Dabei ist die Frage, mit welchen konkreten Gesichtern und Geistern es weitergeht. Am Samstag rühmten sich die Mainzer, dass sie in dieser Saison auch in schwieriger Zeit an Trainer Schmidt festgehalten hätten - anders als alle Konkurrenten aus dem Tabellenkeller. "Vielleicht ist unser Klassenerhalt auch ein Signal, dass es auch so geht", so Schmidt, "mit Vertrauen und Verlässlichkeit." Sein Vertrag läuft noch bis 2018. Doch als ein Journalist fragte, ob er Trainer bleibe, gab es eine längere differenzierte Antwort und den erkennbaren Willen nach einer Fortsetzung seiner Arbeit. Aber es gab kein einfaches und klares "Ja".

© SZ vom 15.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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