Magic Moments - EM 1968:Die Partisanen und die Marsmännlein

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Bei der EM 1968 scheitert Deutschland schon in der Qualifikation an Jugoslawien und Albanien. Unser Autor erinnert sich genau, weil er doch selbst ein "kleiner Albaner" war.

Hans Kratzer

In den sechziger Jahren rangierte der Fußball in meinem Heimatdorf noch weit hinter den Belangen des Ackerbaus und der Viehzucht. Der Sonntag gehörte dem Herrn, und die Jugend wurde, damit sie nicht sinnlos dem Ball nachjagte, zur Feld- und Stallarbeit überredet. Die Gespräche der Männer kreisten weniger um die Bundesliga als um Heuernte und Viechernot sowie um die Russen, die nach allgemeiner Überzeugung bald kommen würden. Als kleinen Vorgeschmack, so hieß es, hatten sie in Person des diabolischen Linienrichters Bahramow den deutschen Fußballern bereits den Sieg im WM-Finale von 1966 geraubt.

Gerd Müller (rechts) kommt zu spät, Deutschland fliegt in der Quali gegen Albanien raus. (Foto: Foto: Imago)

Der Dammerl Peter stellte allerdings die Gefährlichkeit der Jugoslawen noch über die der Russen. Er, der welterfahrene Einödbauer, musste es wissen, schließlich hatte er als Soldat auf dem Balkan gekämpft. Uns Kindern erzählte er am liebsten von seinen riskanten Raufhändeln mit dem Marschall Tito und mit den Partisanen, die er jedes Mal rechtzeitig am Kragen gepackt habe, obwohl sie sich lautlos anschlichen.

Vor grießeligen Fernsehbildern

Als wir die jugoslawischen Fußballer im Oktober 1967 beim EM-Qualifikationsspiel gegen die Deutschen auf grießeligen Fernsehbildern erstmals zu Gesicht bekamen, schauten manche von ihnen tatsächlich so grimmig, dass wir Buben überzeugt waren, die Partisanen des Dammerl Peter vor uns zu haben. Nie mehr in meinem Leben haben wir bei einem Fußballspiel mehr gezittert als in eben dieser Partie.

Die Albaner, der andere Gruppengegner der Deutschen, waren uns dagegen so fremd wie die Marsmännlein. Der Dammerl Peter vermutete, dass sie kleine Kinder fressen. In der Zeitung stand allerdings, die Albaner seien Kanonenfutter. In der Tat kassierten ihre Fußballer ähnlich viele Gegentore wie die Schülermannschaft des SV Neufraunhofen, bei der ich spielte.

Als wir im Oktober 1967 gegen die unbezwingbaren Vilsbiburger antreten mussten, trugen wir bereits den Beinamen "Albaner". Beim Spielstand von 15:0 wurde der Gegner nachlässig und erlaubte mir den ersten Ballkontakt, worauf ich das Leder mit einem "Bauernspitz" in die Luft drosch. Wie ein Ufo flog es über den Vilsbiburger Torwart hinweg, obgleich dieser einem Adler gleich durch dem Strafraum segelte. Dann krachte der Ball gegen das Tornetz, das damals noch aus Maschendraht geflochten war.

Das erste Tor meines Lebens klang laut und blechern, aber es war Goldes wert. Es lehrte mich, dass im Sport sogar ein kleiner Albaner einen großen Treffer landen kann. Vier Wochen später strauchelten die Deutschen in der EM - mit einem 0:0 gegen Albanien.

In unserer Serie "Magic Moments" erinnern sich unsere Autoren auf ganz persönliche Weise an die Höhepunkte der EM-Geschichte.

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