Lukas Podolski:Nicht mehr alles lustig

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Über Lukas Podolski werden Witze gemacht, die er nicht mehr komisch finden kann. Der Stürmer sucht unterdessen nach Frohsinn und Toren.

Philipp Selldorf

Nachdem Lukas Podolski in den ersten beiden WM-Partien und den beiden letzten Vorbereitungsspielen kein Tor geschossen hat, ist nun eine Debatte über den Angreifer und seinen sportlichen Zustand entstanden. Fachleute grübeln, woran es liegen könnte, stellen Fragen und konfrontieren ihn mit den Gesetzen Gerd Müllers ("vor dem Tor niemals nachdenken!"). Lukas Podolski sagt dazu: "Nein, ich denke nicht nach. Das mache ich nie."

Auf diese Erwiderung hin gab es verständlicherweise einiges Gelächter bei den Zuhörern, das Podolski aber gar nicht verdient hat. Natürlich denkt er nach, und zurzeit - auch wenn er's vor sich und dem Rest der Welt nicht zugeben möchte - mehr als sonst.

Das liegt unter anderem auch daran, dass er sich mit dem Bild auseinandersetzen muss, das in der Öffentlichkeit von ihm gezeichnet wird. Dass dieses naturgemäß oberflächliche Bild manchmal zur Karikatur gerät, daran hat er während der vergangenen beiden Jahre selbst mitgewirkt, weil ihm das Rollenspiel des lustigen Poldi Spaß gemacht hat.

Und obwohl die Zeiten nun härter geworden sind, sein Wert in Gold aufgewogen wurde (zehn Millionen Euro zahlt der FC Bayern an den 1.FC Köln), erlebt man ihn auch in diesen Tagen meist mit diesem fröhlichen Feixen im Gesicht, das ihn aussehen lässt wie Max und Moritz, als sie der Witwe Bolte die gebratenen Hühner stahlen.

Aber es ist eben nicht mehr alles lustig. Nun werden über Podolski Witze gemacht, die er nicht mehr komisch finden kann. Gegen eine satirische Reihe, die der WDR auf seiner Jugendwelle "1Live" unter dem Titel "Lukas' Tagebuch" sendet, setzt sich Podolski zur Wehr, indem er gleich die ganze ARD in Haftung nimmt: Mit einem Interviewboykott, der für Fernsehen wie Rundfunk gilt, "solange die Sache nicht geklärt ist", wie der DFB-Medienchef Harald Stenger erläuterte.

Der Deutsche Fußball-Bund unterstützt ausdrücklich die Strafaktion. Das Ganze klingt nach Nötigung, ist es auch - und doch kann man es nicht verwerflich finden. Wenn Podolski beklagt, die Reihe ziele "unter die Gürtellinie", indem sie ihn als primitiven Dummkopf darstellt, dann hat er recht. Es ist eine armselige Sorte Komik, beleidigend und verletzend.

Zu früh im Heiligenstatus

Vermutlich wird der WDR sie deswegen zügig aus dem Programm nehmen, andere Missverständnisse um Podolski aber werden sicher noch eine Weile anhalten, denn sie sind grundsätzlicher und sportlicher Natur. Viel zu lange wurde die Frage ignoriert, was für eine Art Stürmer Lukas Podolski eigentlich ist, weil allein seine spektakulären Tore und seine speziellen Fähigkeiten im Mittelpunkt standen.

Er hat einen famosen Schuss, einen sechsten Sinn für den richtigen Stand- und Startplatz und gelegentlich ein exzellentes Pass-Spiel.

Aber er hat auch arge Defizite, die auf einer schlechten Erziehung in seinem Klub beruhen, was wiederum darauf zurückgeht, dass Podolski schon als Teenager in den Heiligenstatus versetzt worden ist. Die Privilegien, die ihm beim FC zufielen, die täglichen Oden der Verehrung, die ihm in Köln gewidmet wurden, haben ihn ein wenig verdorben, Allüren haben sich in sein Spiel gemischt, und so korrespondiert eine fehlgelenkte Entwicklung mit einigen natürlichen Unzulänglichkeiten: Podolski hat taktische Mängel bei der Vorneverteidigung, er läuft sich selten effektiv frei, und er bewegt sich zu wenig ohne Ball.

Schwächen im Zweikampf und im Durchsetzungsvermögen kommen dazu. Bei der Nationalmannschaft ist das alles seit einiger Zeit bekannt, auch wenn Klinsmann auf Fragen nach Podolskis Problemen ahnungslos tut und entgegnet: "Uns fehlt eigentlich gar nichts. Er macht seine Arbeit für die Mannschaft, wir wissen um seine Qualitäten."

Den Lehrauftrag für Podolski hat Miroslav Klose erhalten. Klose soll, wie Klinsmann immer sagt, seinen Sturmpartner "führen", aber das ist nicht ganz einfach während einer Weltmeisterschaft, wenn alle zuschauen und zuhören. Kritik, gar öffentliche, gilt im Hause Klinsmann als verpönt, denn es herrscht Harmoniepflicht.

Als Miroslav Klose am Sonntag anklingen ließ, sein Partner Podolski brauche außer ein wenig Ermunterung auch ein wenig mehr Bewegung auf dem Platz, wurde daraus ein Politikum, denn einige Journalisten interpretierten dies als Vorwurf: dass Podolski zu viel herumstehe. Bild meldete "Zoff" und fasste zusammen: Klose "nagelt in mehreren deutschen Zeitungen gegen seinen Sturmpartner los".

Ratschläge von Klose

Am Montag stellte Klose klar, dass es mitnichten ein persönliches Problem mit seinem jungen Nebenmann gebe. "Wir haben absolut keinen Krach. Ich habe nur betont, dass er etwas verkrampft wirkt. Wir alle versuchen, ihm zu helfen. Aber er ist ein junger Spieler, da ist es ganz normal, dass er nicht diese Konstanz haben kann." Dann gab Klose noch einmal den beziehungsreichen und in der Tat interpretierbaren Ratschlag, den er schon tags zuvor geäußert hatte: Podolski müsse "mehr aus der Bewegung kommen".

Lange hatte sich Podolski für mehr oder weniger unantastbar gehalten im Nationalteam. Im vergangenen Herbst hatten sich Klinsmann und sein Partner Joachim Löw entschieden, Podolski als Angreifer zu setzen. Daran hat sich vorerst noch nichts geändert, und Podolski wird seinen Platz auch in der Elf haben, die am Dienstag gegen Ecuador spielt.

Aber wenn er glaubt, er habe keine Konkurrenz im Team, dann irrt er. Oliver Neuville ist ihm schon bedrohlich nahe gerückt. "Ich weiß natürlich auch, dass ich besser spielen kann. Aber ich mache mir keinen Kopf darüber", erklärt Podolski. Hoffentlich sagt er da nicht die Wahrheit.

© SZ vom 20.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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