Löw Clicquot:Spülerische Höhepunkte

Lesezeit: 2 min

(Foto: a)

Wie viele Ukrainer haben in Sachsen-Anhalt vor zwei Jahren ein Gewerbe angemeldet? Wie viel Wasser rauscht in Bern pro EM-Sekunde durch die Rohre? Erst Statistiken runden die EM.

Von Claudio Catuogno

Laut der Zeitung Morgunbladid halten sich derzeit acht Prozent der isländischen Bevölkerung in Frankreich auf, um sich Fußballspiele anzusehen, 27 000 der 320 000 Isländer haben sich EM-Tickets gekauft. Womöglich waren es Statistiken wie diese, die kürzlich einen Twitter-User zu der Botschaft animierten, wonach es "35 Prozent der Isländer nervt, dass bei allem, was sie tun, der prozentuale Anteil an ihrer Gesamtbevölkerung ausgerechnet wird". Man muss vermuten, dass die 35 Prozent frei erfunden sind, um mit einem Augenzwinkern den Wert von Statistiken generell infrage zu stellen. Dabei gibt es weniges, was ein Turnier so bereichert wie Statistiken.

Das Statistische Landesamt Sachsen-Anhalt hat etwa zum Auftaktspiel der deutschen Elf gegen die Ukraine ein Gesamtpaket veröffentlich (2015 lebten 3018 Ukrainer in Sachsen-Anhalt, 575 gingen einer sozialversicherungspflichtigen Tätigkeit nach, 27 meldeten ein Gewerbe an usw.). Die Überschrift lautete "Zur EM: Statistisches Landesamt unterhält mit Statistiken." Nach SZ-Berechnungen haben sich 35 Prozent der Bevölkerung Sachsen-Anhalts tatsächlich unterhalten gefühlt, einige schon in den statistisch gesehen oft dunklen Stunden vor Sonnenaufgang. Sachsen-Anhalt wirbt ja mit dem Slogan "Land der Frühaufsteher".

Vier Prozent der Franzosen tragen zur EM Glücksunterhosen

In der Berner Zeitung war gerade zu lesen: "Frankreich-Spiel wird spülerischer Höhepunkt", und wer das für einen Schreibfehler hielt, der wurde von einer Grafik eines Besseren belehrt. Sie zeigte ein Strichmännchen, aus dessen Körpermitte zwei Linien entsprangen, die sich aber nicht in ein Urinal ergossen, sondern wild auf und nieder zuckten. Angegeben wurde die Abflussmenge im Wasserverbund der Region Bern während der EM-Partien. Jeweils zur Halbzeitpause (59 024 l/min) sowie nach Schlusspfiff (57 247 l/min) steigt die verbrauchte Wassermenge statistisch signifikant an. Womöglich, aber das ist jetzt nur eine Vermutung, die keinerlei wissenschaftlichen Standards genügt, gehen die Leute dann aufs Klo und spülen.

Apropos: L'Équipe hat in Erfahrung gebracht, dass vier Prozent der französischen Männer so abergläubisch sind, dass sie die EM-Spiele in Glücksunterhosen verfolgen. Und auch der Bundestrainer wäre gut beraten, sich nicht nur mit Pass- und Zweikampf-Daten zu befassen, sondern zum Beispiel mit jener "erschreckenden Statistik" ( news.de), wonach statistisch gesehen eine Mannschaft Europameister wird, die ein rotes Trikot mit V-Ausschnitt trägt.

35 Prozent der Isländer, die derzeit in Glücksunterhosen durch Frankreich reisen, würden womöglich einwenden, dass solche Statistiken nerven, allerdings gibt der Verfasser in diesem Fall selbst an, dass die Trikot-Statistik "mit einem Augenzwinkern" zu konsumieren sei. Und Statistiken, die mit einem Augenzwinkern verbreitet werden, sind definitiv der spülerische Höhepunkt dieser EM.

© SZ vom 23.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: