Liverpool:Coole Nummer

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Spaßpaket: Liverpools Erfolgstrainer Jürgen Klopp herzt seinen Torschützen Sadio Mané. (Foto: Jason Cairnduff/reuters)

Erstmals in der Historie der Premier League steht ein deutscher Trainer auf Platz eins: Jürgen Klopp und seine Reds begeistern Liverpool.

Von Sven Haist, London

Auf den Tag genau vor einem Jahr beklagte Jürgen Klopp nach seiner ersten Niederlage mit dem FC Liverpool, sich im Stadion ziemlich einsam gefühlt zu haben. Klopps Aussage war ein Affront gegen die Fan der Reds. Vor jedem Spiel bekräftigen die Anhänger in ihrer Volkshymne ("You'll never walk alone") die Devise, niemals jemanden alleine zu lassen. Aber Klopp hatte recht mit seinem Tadel. Die Zuschauer suchten damals die Stadionausgänge weit vor dem Abpfiff - desillusioniert durch ein 1:2 gegen Crystal Palace.

Aus jener Einsamkeit hat sich jedoch alsbald Sympathie entwickelt. Die Medienabteilung des Vereins half nach, indem sie ein Video um den Globus schickte, wie ein junger Fan dem schwäbischen Neuankömmling den Liverpooler Dialekt Scouse beibringt. Sogar die gegnerischen Fans schauten erstaunt an die Mersey, nachdem Klopp die Reds in die Finals im Ligapokal und in der Europa League führte.

Seit Sonntag hat Jürgen Klopp, 49, in Liverpool nun die Stufe der Verehrung erreicht, weil er sich nicht nur den Sehnsüchten der Fans annimmt, sondern sie auch erfüllt. Nach 914 Tagen ist der stolze Klub zurück an der Tabellenspitze - und Klopp steht im Historienbuch der Premier League. Keinem deutschen Trainer war es zuvor gelungen, mit einem Verein in Englands höchster Fußball-Klasse auf Platz eins zu stehen. Viele haben es auch nicht versucht: Allein Felix Magath, er trainierte kurz den FC Fulham und stieg ab.

Zudem sieht die Insel Klopp inzwischen als ihre eigene Erfindung an. Auch in Ermanglung englischer Trainer-Talente. Mittlerweile hat sich sogar der Respekt der Liverpudlians vor dem ungewohnten Umlaut "ü" im "Jürgen" gelegt. Die Sprechgesänge klingen wie einst in Dortmund. Klopps Ausleben seiner Emotionen wirkt ansteckend - seine Rhetorik reißt mit. Der Fanshop verkauft unter der Rubrik "Klopps Kollektion" Wackelkopffiguren samt Konterfei. Liverpool lebt die Verklärung offen aus. Eine Gegendarstellung findet in England nicht statt. Klopps bisweilen pubertäres Benehmen wird übersehen.

An elf Spieltagen erzielte Liverpool 30 Tore - das ist der beste Angriff der Premier League

Und nun fegt auch noch dieses 6:1 vom Sonntag gegen den FC Watford als sportliche Drohung über die Insel. "Wir haben ein ziemlich gutes Team, aber wir können uns noch verbessern", sagt Klopp. Liverpool profitiert analog zum Verfolger FC Chelsea davon, in den internationalen Wettbewerben nicht vertreten zu sein. Alle Spiele, die in der Liga auf die Champions-League- und Europa-League-Wochen folgten, gewannen die Reds. Die eingesparte Zeit nutzt Liverpool zur Regeneration oder zum Einüben von Standardsituationen.

An den elf Spieltagen erzielte Liverpool 30 Tore, der Klub stellt den besten Angriff der Liga. Fünf Treffer in den letzten fünf Partien kamen von Sadio Mané, dem Transfer vom FC Southampton. Dessen Offensivpartner Firmino und Philippe Coutinho weisen je acht Torbeteiligungen an den letzten sieben Spieltagen auf.

Der Clou: Diese drei nominellen Angreifer sind Mittelfeldspielern zum Verwechseln ähnlich. Mané, Firmino und Coutinho lassen sich oft in freie Zonen fallen, um den Abwehrketten zu entkommen. Jeder aus dem Trio aber hat die Gabe, mit wenigen Schritten das Tempo rasant hochzufahren. Häufig folgen dann Choreografien mit blitzartigen, flachen Pässen, bis Liverpool eine Lücke erspäht und hineinstürmt. Allerdings wurde dieses Konzept schon einmal lahm gelegt: von José Mourinho.

Liverpool blieb gegen Manchester United ohne Tor, weil Mourinho die äußeren Mittelfeldspieler zur Sechserkette nach hinten zog. Die Angreifer der Reds konnten so in Manndeckung bis ins Mittelfeld verfolgt werden. Oft war Liverpool zu Flugbällen gezwungen - und groß gewachsen ist Klopps Team wahrlich nicht.

Einen Punkt Vorsprung besitzt Liverpool auf den FC Chelsea. "Bleibt cool", sagt Klopp: "Falls einer denkt, das sei nach elf Spieltagen ein großes Zeichen, dem kann ich nicht helfen." Vier Klubs liegen an der Tabellenspitze eng zusammen - maximal zwei Punkte und drei Tore auseinander. Einen solchen Stau an der Spitze hat es in diesem globalen Zirkus seit Premier-League-Gründung 1992 nur einmal gegeben: Vor 20 Jahren trennten den FC Arsenal zwei Punkte und fünf Tore vom viertplatzierten FC Wimbledon. Meister wurde jedoch der zu jener Zeit Fünfte: Manchester United.

Zurückblicken tun die Reds eh ungern. Seit der letzten Meisterschaft 1990 sind bald 9700 Tage vergangen. Als Trainer Kenny Dalglish damals zur Liverpool-Legende aufstieg, kickte Jürgen Klopp gerade in der Oberliga für Rot-Weiss Frankfurt.

© SZ vom 08.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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