Lindy Ave:Für die Visitenkarte

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Beste über 400 Meter, Zweite im Weitsprung: Die 20 Jahre alte Lindy Ave sammelte bei der Para-EM der Leichtathleten in Berlin je eine Gold- und Silbermedaille ein. (Foto: Jens Büttner/dpa)

Beste über 400 Meter, Zweite im Weitsprung: Die 20 Jahre alte Lindy Ave sammelte bei der Para-EM der Leichtathleten in Berlin je eine Gold- und Silbermedaille ein. Und sie möchte auch eine Botschaft an andere vermitteln.

Von Sebastian Fischer, Berlin

Eine der erfolgreichsten deutschen Athletinnen schlenderte nach ihrem nächsten Medaillengewinn unbehelligt aus dem Stadion. Silber im Weitsprung nach Gold über 400 Meter am Vortag, da sagte Lindy Ave am Mittwoch höflich "Dankeschön" ins Mikrofon des Stadionsprechers. "Dass ich so extrem gut springe, hätte ich nicht gedacht", sagte sie später. Ave, die am Donnerstag auch noch Silber über 200 Meter holte, hatte sich diesmal selbst unterschätzt. Sonst unterschätzen sie oft die anderen.

In der paralympischen Leichtathletik wird meistens über die außergewöhnlichen Leistungen der Prothesensprinter gesprochen, so ist es auch in diesen EM-Tagen in Berlin. Felix Streng und Johannes Floors zum Beispiel haben am Mittwoch ihre ersten Goldmedaillen gewonnen, ihre Laufstile sind ästhetisch, sie sprechen darüber eloquent. Am Samstag ist dann Markus Rehm dran, der amputierte Weitspringer, der weiter springt als die meisten Nichtbehinderten. Sport zum Staunen.

Ave, 20, startet in der Klasse T38 für Athleten mit leichter Spastik. Oder wie die zuständige Bundestrainerin Marion Peters sagt: Es sind die verkannten Athleten.

Die Spastik ist in der gesellschaftlichen Wahrnehmung eine Behinderung, sagt Peters, "die ein großes Fragezeichen ist". Manche würden nicht wirklich wissen, was sich dahinter verbirgt, "manche benutzen es als Schimpfwort". Weil von Cerebralparese, kurz CP, auch die Intelligenz betroffen sein kann oder die Gesichtskontrolle, wird nicht so offen darüber gesprochen. Peters erlebt das oft, wenn sie Eltern anspricht, sie hat immer ihre Visitenkarte in der Tasche, um Familien für den Sport zu gewinnen. Doch viele Eltern, erzählt sie, sagen ihr: Nein, unser Kind ist nicht behindert. Das Leugnen findet sie schlimmer als die Stigmatisierung. Die Trainingsarbeit sei zwar komplex, so als würde man einem Nichtbehinderten beibringen, mit überkreuzten Beinen zu laufen. Es brauche Zeit, Bewegungsmuster aufzubrechen, sagt Peters: "Aber es ist möglich."

Ave hat nur eine minimale Spastik mit entsprechenden Folgen für ihre Entwicklung. Sie hat hart gearbeitet für ihren Schulabschluss vor der EM, sie wird bald als Hauswirtschafterin ihr Geld verdienen, sie ist umgezogen. Sie konnte gar nicht so viel trainieren in letzter Zeit. Aber sie sagt: "Ich bin ein Wettkampftyp."

© SZ vom 24.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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