Letzter Arbeitstag:Adele, ihr Lieben

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Heute endet die lange Ära des DFB-Präsidents Gerhard Mayer-Vorfelder. Zum Abschied soll man nur Gutes sagen. Wir haben es versucht - doch es hat nicht geklappt.

Christof Kneer

Die Geschichte spielt in Litauen, in Island und in Schottland, ach was, sie spielt auf der ganzen Welt. Es ist eine Geschichte, die Verlässlichkeit und Geborgenheit ausstrahlt, die Geschichte geht nämlich immer gleich.

Sie beginnt damit, dass Menschen auf Tribünen ihre Finger in den Mund stecken, um zu pfeifen. Sie pfeifen eine Weile fröhlich vor sich hin, später beginnen sie zu rufen. Sie rufen etwas, was wie "Vorfelder raus" klingt, und zwischendurch schauen sie immer wieder mal runter auf den Rasen, auf dem die deutsche Nationalelf spielt.

Diesmal kommt er nicht wieder, ganz sicher

Manchmal werden die deutschen Fußballfreunde dann von Nebensitzern aus Litauen, Island oder Schottland gefragt, warum sie jetzt pfeifen, wo es auf dem Rasen doch nur Einwurf gibt. Tja, und dann kommt man völkerübergreifend ins Gespräch, und am Ende hat es Gerhard Mayer-Vorfelder wieder geschafft.

Gerhard Mayer-Vorfelder ist ein völkerverbindender Präsident, so ist das nämlich. Bei kleineren Anlässen hat man das immer besonders Ohren betäubend verfolgen können, bei U 21-Auswärtsspielen etwa.

Da sitzen nur die leidenschaftlichsten Anhänger auf den Tribünen, die Basis der Basis, und vermutlich weiß die Basis gar nicht, was sie ihrem großen Vorsitzenden alles verdankt. Vermutlich meint die Basis, sie hätten an diesem Abend so viel Spaß gehabt, weil die DFB-Junioren 1:1 oder 4:4 gespielt haben. In Wahrheit war das natürlich wegen Gerhard Mayer-Vorfelder.

Gerhard Mayer-Vorfelder muss jetzt gehen, nein, wirklich, diesmal kommt er bestimmt nicht mehr zurück. An diesem Freitag wird Theo Zwanziger beim DFB-Bundestag in Frankfurt zum alleinigen Präsidenten gewählt werden, und es wird in ganz Frankfurt kein einziges Hinterzimmer geben, aus dem sich Mayer-Vorfelder zurück ins Amt kungeln könnte.

Der Gegenkönig

Er hat das ja schon einmal geschafft, vor gut zwei Jahren, als der DFB in Person des eilends zum Gegenkönig ausgerufenen Theo Zwanziger putschen wollte. Das hat auch ganz gut geklappt, abgesehen davon, dass sich die Putschisten dem Herrscher zu Füßen warfen, worauf dieser Verband vorübergehend zwei Präsidenten hatte und null Bundestrainer.

Es war ein letzter, ein allerletzter Sieg für den bemerkenswert standfesten Gerhard Mayer-Vorfelder, 73, aber er trug schon die Niederlage in sich. Es war das erste Mal, dass sich der Markenbegriff MV mit Macht-Verlust übersetzen ließ.

Zuvor hatte er die Nation nach Rudi Völlers Rücktritt durch eine lustige Trainerfindungskommission erheitert, die DFB-Kollegen hatte er durch autokratische Führungsattitüden zur Weißglut gebracht. Er hat sich danach noch einmal berappelt, zum tausendsten Mal in seiner Karriere, aber früher hätte er das Kleingedruckte nie akzeptiert.

Das Kleingedruckte besagte in diesem Fall, dass er nur noch der Hilfspräsident ist, der nach der WM 2006 endgültig ausgespielt hat. Er hat es akzeptiert, es war seine letzte Chance, noch mal ein paar Länderpunkte zu machen, so wie jetzt, bei der letzten Dienstreise nach San Marino. Er war in über 100 Ländern mit seiner Nationalelf, in San Marino war er noch nie.

Affäre nach Affäre

Sagt man nicht, dass man Scheidenden nur das Beste nachrufen soll? Kann man das bei einem wie EmmVau, dessen chronique scandaleuse gehaltvoller ist als ein guter Trollinger? Kann man sie einfach verschweigen, die Lotto-Affäre 1994, die Graf-Affäre 1996 - oder auch den Hoyzer-Skandal 2005, für dessen zögerliche Aufarbeitung er der politisch Verantwortliche war?

Kann man verschweigen, dass er 2001 den DFB-Vorsitz übernahm und nur bis 2004 brauchte, um den Verband in zwei Lager zu spalten, wobei das eine Lager aus dem Verband bestand und das andere aus ihm? Kann man verschweigen, dass aus seiner Amtszeit kein nachhaltiges gesellschaftliches Programm überliefert ist, im Gegensatz zu Zwanziger, dem die soziale Seite des Spiels ein dominierendes Anliegen ist?

Aber vielleicht ist es ja so, dass man nur wollen muss. Man muss sich nur auf die Suche machen, um jene Beiträge zu finden, die aus MV einen unvergesslichen Funktionär machen - nicht nur, weil er die guten alten Rituale pflegte und nach dem Sport gerne in der Vetternwirtschaft einkehrte.

Die jungen Wilden - sein Verdienst

Im Grunde sind ja auch die jungen Wilden des VfB Stuttgart sein Werk; voller Weitsicht hat er dem Klub 15 Millionen Euro Schulden hinterlassen und ihn so zum Jugendkurs gezwungen. L'etat, c'est moi, der Etat bin ich, das hat er immer etwas frei übersetzt.

So gehört ihm auch das Patent auf den kreativsten Vertrag der Ligageschichte; so verlängerte sich der hochdotierte Kontrakt des Spielers Balakow automatisch, sobald ihm ein Arzt einen aufrechten Gang attestierte.

Mayer-Vorfelder hat seinem VfB natürlich noch mehr Stars spendiert wie Zaharievski, Markovic oder Didi, die leider nie spielten oder schon Sportinvalide waren. Und natürlich hat er auch den Trainer Löw entlassen und somit in eine Karriere gedrängt, die ihn erst zur heiligen Nationalelf führen konnte.

Er soll nicht geehrt werden beim DFB-Bundestag, heißt es, aber das ist ihm nicht so wichtig. Vielleicht sollte man ihm lieber ein Abschiedsspiel mit den MV Allstars schenken, sie wären dann bestimmt alle da, der Markovic, der Didi, der Balakow, und die Zuschauer würden fröhlich pfeifen.

© SZ vom 8.9.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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