Leidenschaft:Verliebt seit sechzig Jahren

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Der Autor hat 1956, als Siebenjähriger mit seinem Opa das Endspiel um die Deutsche Meisterschaft zwischen Borussia Dortmund und dem Karlsruher SC im Radio angehört. Seither ist er Borusse.

Von Hans Leyendecker

Jetzt also auch Mats Hummels. Schon wieder einer. Aber vielleicht sollte man das als BVB-Fan auch nicht persönlich nehmen. Als Werder Bremen über Jahre ganz vorne in der Bundesliga dabei war, kauften die Bayern mal weg: Andreas Herzog, Mario Basler, Valérien Ismaël, Miroslav Klose, Tim Borowski und Claudio Pizarro. Als Bayer Leverkusen stark war, kauften sie Michael Ballack, Zé Roberto, Lucio. Aus Mönchengladbach wechselten Lothar Matthäus, Stefan Effenberg und Karl del'Haye. Aus Dortmund sind in den letzten Jahren Mario Götze und Robert Lewandowski nach München umgezogen, und jetzt geht Hummels, der Kapitän. Liebe Bayern, das kann doch noch nicht alles gewesen sein. "Ich scheiß dich sowat von zu mit meinem Geld" sagte der Fabrikant Haffenloher in der Serie "Kir Royal".

Super-Bayern. Immer gierig, meist erfolgreich - zumindest, wenn es nicht im Halbfinale gegen eine spanische Mannschaft geht. Oder im Pokal gegen den BVB. 5:2! Wisst ihr noch? Und: Kräftig Elfer üben. Nicht wieder ausrutschen!

Danke Opa, dass du 1956 mit mir in der kleinen Wohnstube in Brühl-Kierberg die Übertragung des Endspiels um die deutsche Meisterschaft zwischen dem BVB und dem KSC im Radio gehört hast. Fortan war ich Borusse. Nehme an, das bleibt ewig.

Jetzt hört man, für die Bayern sei es nur ein Nebeneffekt, dass Hummels bald dem Konkurrenten Dortmund fehlen werde. Den Münchnern gehe es gar nicht mehr um die Bundesliga. Jetzt gehe es vor allem um Europa. Der Rest sei dann doch nur Formsache: deutscher Meister 17, 18, 19 und so fort? Gratuliere! "Euer Hass ist unser Stolz" steht auf Schals mancher Bayern-Fans, aber sie irren. Es ist nicht Hass. Es ist eher Mitleid, weil sie immerzu vorzählen müssen, wie oft der FC Bayern schon Meister geworden ist. Gegen uns kommt keiner an, soll das wohl heißen. Oder auf Bayerisch: Mia san mia. Ach, Gottchen. "Damit wir uns richtig verstehen/ich habe nichts gegen München/ich würde nur nie zu den Bayern gehen" , singen die "Toten Hosen" Und: "Was für Eltern muss man haben/um so verdorben zu sein/einen Vertrag zu unterschreiben/bei diesem Scheiß-Verein". Das ist nicht nett, aber man hört es in diesen Tagen besonders in Dortmund gern.

Die Dortmunder Fans sind nicht nur im heimischen Stadion eine stimmgewaltige Macht, sondern auch auswärts - wie hier im Spiel bei Darmstadt 98 im März. (Foto: Matthias Hangst/Bongarts/Getty Images)

Mario Götze hat den Fehler gemacht, zu den Bayern zu wechseln. Er hat sich verkauft oder verkaufen lassen. Bei vielen Fans in Dortmund gilt er bis heute als Verräter und Heuchler, weil er vorher so getan hatte, als wolle er bleiben. Lewandowski ist ein ordentlicher Söldner. Er will möglichst viel Geld verdienen und bringt immer beste Leistung. Ein Krieger. Dass Kagawa und Sahin gingen und zurückkamen, war gut fürs Gemüt der Fans, aber nicht immer fürs Spiel der Mannschaft.

Wie man als Fan zu einem Verein kommt, ist eine rätselhafte Geschichte, wie so manches andere im Leben auch. Man verliebt sich, man verguckt sich. Meist unvermittelt und manchmal auch ziemlich unkritisch. Wenn man eine Beziehung eingeht, weiß man auch nicht, wie viel Glück, wie viel Leid, wie viel Schmerz damit verbunden sein werden. Jeder Anfang hat etwas Unbestimmtes "Er hat so unabgelaufene Füße", hat eine meiner vier Töchter, von denen drei glücklicherweise Borussinnen geworden sind, mal nach der Geburt ihres Sohnes gesagt.

Dann kommen die Wunden, die Schrammen. So ist es auch mit dem Verein. Wer sich 60 Jahre mit einer Mannschaft verbunden fühlt, hat viele Hundert Spiele gesehen und Aberhunderte vergessen. Nie vergessen sollte man die schlechten Zeiten: 1973/74. Regionalliga West. 8900 Zuschauer im Schnitt. Trainer Janos Bedl. Erstes Spiel bei DJK Gütersloh: 2:0 verloren. Zweites Spiel: Unentschieden bei Eintracht Gelsenkirchen. 1:1.

Am Ende der Saison Tabellensechster. Vorne Wattenscheid 09, Rot-Weiß Oberhausen, Bayer 05 Uerdingen, der 1. FC Mülheim und Preußen Münster. Im DFB-Pokal in der ersten Runde gegen Hannover 96 raus: 1:4. Ich war einer der paar Tausend Zuschauer im Stadion. Es war saukalt. Dezember. An die Saison erinnere ich mich oft. Fußball ist nicht Siegenmüssen.

Stadt Dortmund

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(Foto: N/A)

Einwohner: 599 246 (bevölkerungsreichste Stadt im Ruhrgebiet). Früher Industriemetropole mit den Kernfeldern Stahl, Kohle und Bier. Nach Strukturwandel heute wichtiger Dienstleistungs-und Technologiestandort.

Borussia Dortmund

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(Foto: N/A)

Gegründet: 1909 Mitglieder: Circa 100 000

Titel

Champions League 1997 (Finale: 3:1 gegen Juventus Turin). Weltpokal 1997 (Finale: 2:0 gegen Cruzeiro Belo Horizonte). Europapokal der Pokalsieger 1966 (Finale: n. V. 2:1 gegen FC Liverpool). Deutscher Meister (8): 1956, 1957, 1963, 1995, 1996, 2002, 2011, 2012. DFB-Pokal: 1965, 1989, 2012.

Gewonnene DFB-Pokal-Endspiele: 1965

Bor. Dortmund - Alemannia Aachen 2:0 (2:0) BVB: Tilkowski - Cyliax, Redder - Kurrat, Paul, Straschitz - Sturm, Konietzka Wosab, A. Schmidt, Emmerich - Trainer: Eppenhoff. Aachen: Prokop - Krisp, Nievelstein - Hermandung, Thelen, Breuer - Nacken, Glenski - Gronen, Martinelli, Krieger - Trainer: Pfau Tore: 1:0 Schmidt (10.), 2:0 Emmerich (18.). Zuschauer (am 22. Mai 1965 in Hannover): 55 000.

Gewonnene DFB-Pokal-Endspiele: 1989

Bor. Dortmund - Werder Bremen 4:1 (1:1) BVB: de Beer - Kroth - Kutowski, Helmer, Mac-Leod - Breitzke (73. Lusch), Zorc, Möller, M. Rummenigge - Dickel (77. Storck), Mill - Trainer: Köppel. Werder Bremen: Reck - Sauer (77. Burgsmüller) - Wolter, Bratseth - Schaaf, Eilts, Votava, Hermann, Otten (55. Ordenewitz) - Neubarth, Riedle - Trainer: Rehhagel. Tore: 0:1 Riedle (15.), 1:1 Dickel (21.), 2:1 Mill (58.), 3:1 Dickel (73.), 4:1 Lusch (74.). Zuschauer (am 24. Juni 1989 in Berlin): 76 431.

Gewonnene DFB-Pokal-Endspiele: 2012

Bor. Dortmund - Bayern München 5:2 (3:1) BVB: Weidenfeller (34. Langerak) - Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer - Gündogan, Kehl - Blaszczykowski (84. Perisic), Kagawa (81. S. Bender), Großkreutz - Lewandowski - Trainer: Klopp. FCB: Neuer - Lahm, J. Boateng, Badstuber, Alaba (69. Contento) - L. Gustavo (46. T. Müller), Schweinsteiger - Robben, Kroos, Ribéry - Gomez. - Trainer: Heynckes. Tore: 1:0 Kagawa (3.), 1:1 Robben (25./Foulelfmeter), 2:1 Hummels (41./Foulelfmeter), 3:1 Lewandowski (45.+1), 4:1 Lewandowski (58.), 4:2 Ribéry (75.), 5:2 Lewandowski (81.). Zuschauer (am 12. Mai 2012 in Berlin): 75 708.

Ein Jahr dauert zwölf Monate. Als Fan zählt man anders. Das Jahr dauert dann nicht von Januar bis Dezember, sondern von August bis Mai, wenn Saison ist. Und die Jahre sind nicht einfach Jahre, sie tragen oft eine Doppelzahl: 1965/66: Sieger Europapokal der Pokalsieger gegen den FC Liverpool, aber auch 1975/76. Zweiter in der zweiten Bundesliga und dann im Juni 1976 die Rückkehr in die Bundesliga.

Alles ist professioneller geworden. Den Spaß spürt man manchmal nicht mehr

Die entscheidenden Aufstiegsspiele fanden gegen den 1. FC Nürnberg statt, der im Süden Zweiter geworden war. Die Nürnberger, die vom früheren Borussen-Torwart Hans Tilkowski trainiert wurden, waren Favorit. BVB-Tainer war Horst Buhtz, der aber nach Nürnberg gehen wollte. Er wurde dann rasch in Dortmund durch Otto Rehhagel abgelöst. Das Hinspiel in Nürnberg gewann der BVB unverdient mit 0:1, im Rückspiel fiel das 3:2 durch Lothar Huber in der vorletzten Minute. Ich weiß noch, dass ich durchdrehte und dass ein alter Mann hinter mir in all der Aufregung sein Gebiss verlor. Wir waren noch lange nach Schlusspfiff im Stadion.

Es sind aber auch die vielen kleinen Geschichten, die haften bleiben. Wie der BVB 1978/79 im ersten Spiel gegen die Bayern mit 1:0 gewann. Der 17-jährige Eike Immel stand erstmals im Tor und hielt alles oder boxte es aus dem Strafraum.

Das Spiel hat sich in den sechzig Jahren stark verändert und das Fan-Dasein auch. Es wird viel schneller und technisch besser gespielt, und auf den heute immer voll besetzten Rängen ist alles viel professioneller geworden. Man spürt aber manchmal den Spaß nicht mehr. Alles zu perfekt. Aber es muss nicht perfekt sein. Unvergessen die Spiele mit Willi Lippens, den alle nur "Ente" nannten, 1976/77 war er von Rehhagel von Rot-Weiß Essen, wo er elf Jahre gespielte hatte, zum BVB geholt worden. Lippens war, als er kam, 30 Jahre alt und er spielte aus dem Stand besser als viele der Jungen. Er war Unterhalter, Original und ein großartiger Fußballer. Heute wäre für einen wie ihn kein Platz mehr in einer Mannschaft. Vielleicht nicht mal in der Regionalliga.

BVB-Kapitän Mats Hummels hat lange mit sich gerungen. Am Ende hat er sich für eine Rückkehr in seine Heimat München entschieden. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Tschö, Hummels. Es sind längst nicht nur die Erfolge, die zählen. Wäre es anders, müsste man Bayern-Fan sein. Das wäre dann leicht. Was zählt, ist der Spaß am Spiel der eigenen Mannschaft, einschließlich der Katastrophen. Der Sieg gegen Malaga fast in letzter Minute. Die Niederlage in Liverpool, ganz kurz vor Schluss. Man feiert, man trauert. Es ist die eigene Feier, die eigene Trauer.

Allerdings müssen Fans aufpassen, dass sie sich nicht zu wichtig nehmen. Fußball ist nur ein kleiner Teil des Lebens. Der Verein steht nicht über allem und es wäre ein Missverständnis zu glauben, dass die Fans heute den Fußballsport ausmachen. Dass die Zuschauer in Dortmund Hummels auspfiffen, war nicht Ordnung. Das gehört sich nicht. Das tut man nicht - auch wenn bei Barbarez oder Möller, die wechseln wollten, ebenfalls gepfiffen wurde.

Wie das Pokalfinale ausgeht? Wieder 5:2. Für wen? Doofe Frage.

© SZ vom 20.05.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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