Leichtathletik-Verband DLV:Schluss nach 17 Jahren

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„Nur ein bisschen Wehmut“: DLV-Chef Clemens Prokop. (Foto: Fredrik von Erichsen/dpa)

Leichtathletik-Präsident Clemens Prokop hört auf. Einen Namen macht er sich als Anti-Doping-Kämpfer.

Von Johannes Knuth, München

Er verspüre "nur ein bisschen Wehmut", sagt Clemens Prokop, vor seinem Abschied von der Spitze des Deutschen Leichtathletik-Verbands. Dafür viel Vorfreude auf das, was nun kommt, das Orgelspiel etwa. Prokop spielte früher in diversen Kirchen, er mag dieses Instrument, dem man mit wenigen Griffen große Klangwelten entlockt: "Man kann fast lautlos, aber auch mit einem donnernden Gewitter Musik machen." Die Orgel war es auch, mit der es begann, im März 2001. Am Abend bevor Prokop zum DLV-Präsidenten ausgerufen wurde, hielt der Funktionär Theo Rous ein kabarettreifes Plädoyer für den Amtsrichter und Organisten. "Wer so langen Umgang mit Pfeifen hatte", fand Rous, "ist prädestiniert für die DLV-Führung."

17 Jahre später ertönt nun also der letzte Akkord für Clemens Prokop, 60. Der DLV kommt am Wochenende in Darmstadt zusammen, Jürgen Kessing soll übernehmen, einst Zehnkämpfer und derzeit Bürgermeister von Bietigheim-Bissingen. Er findet einen Verband vor, dem es so gut geht wie lange nicht, findet Prokop - in einer Welt des Sports aber, die immer tiefer in der Glaubwürdigkeitskrise versinkt. Dagegen anzukämpfen, sagt Prokop, "ist sicherlich die entscheidende Herausforderung der Zukunft". Es ist auch ein Vermächtnis für seinen Nachfolger, bei allen Verdiensten: Einige Herausforderungen von gestern sind auch jene von morgen.

Eigentlich, sagt Prokop, wollte er nie Funktionär werden, und als er es doch wurde, bediente er die sportpolitische Klaviatur zurückhaltend. Der ehemalige Weitspringer begann 1993 als Rechtswart im DLV, ein Amt, das ihn bald in die Öffentlichkeit zerrte. Dieter Baumanns Dopingbefund spaltete die Szene. War es Sabotage? Die Zahnpasta? Sabotage mit der Zahnpasta? Klar war, dass der Fall das Verhältnis zerrüttete zwischen Helmut Digel, damals DLV-Chef, und Prokop, Vizepräsident Recht. Einer musste weichen, Prokop wurde 2001 fast einstimmig gewählt. Es waren unruhige Zeiten, die deutschen Leichtathleten waren nach den Erfolgen der Post-Wendejahre gerade ins Mittelmaß geschlittert. Ein Trend, der zunächst anhielt.

Das Anti-Doping-Gesetz war Prokops wohl größter sportpolitischer Erfolg

Auf der politischen Bühne gewann Prokops Stimme dagegen an Klang. Als der Deutsche Olympische Sportbund unter seinem damaligen Präsidenten Thomas Bach die Mitglieder fragte, wer für ein Anti-Doping-Gesetz sei, hob Prokop fast als Einziger die Hand. Für den Sport, der oft den Korpsgeist pflegt, war das fast ein donnerndes Gewitter. Das Gesetz kam 2015, es war Prokops wohl größter Erfolg. "Ich habe versucht, immer zu meinen Überzeugungen zu stehen", sagt er heute. "Was ich im Sport generell vermisse, ist eine offenere Debattenkultur, die Vorgaben von Spitzenverbänden nicht als gottgegeben abnickt."

Immer mehr Enthüllungen. Korruption im Weltverband IAAF. Ex-Präsident Lamine Diack unter Hausarrest. Staatsdoping in Russland. Prokop forderte, das Land von den Sommerspielen 2016 auszuschließen; Bach, mittlerweile IOC-Präsident, weigerte sich. Was Prokop nach wie vor für fatal hält. "Wenn es systematische Verstöße gibt, müssen solche Länder ausgesperrt bleiben, bis sich die Situation bessert", sagt er. Auch in der Leichtathletik gebe es viele Lücken; Prokop plädiert dafür, Sportler nur noch für Titelmessen zuzulassen, die in ein effektives Kontrollnetz eingebunden sind. Wobei auch die deutschen Fahnder viel weniger Schnellmacher finden, als Dunkelziffern es nahelegen.

Und der DLV? Schleppte lange belastetes Personal durch, wie Werner Goldmann, der in der DDR Minderjährige dopte und später zu 4000 Mark Geldstrafe verurteilt wurde. Der DLV entließ ihn 2008, weil Goldmann über seine Vergangenheit gelogen hatte. Er gestand, klagte, der DLV schloss einen Vergleich, beschäftigte ihn bis 2016. Aus arbeitsrechtlichen Gründen, sagt Prokop. Ein Widerspruch dennoch, bis zuletzt.

Sportlich ist der Verband seit der Heim-WM 2009 wieder in die Spitze geklettert, international. Man habe in der Krise damals "eine Reform gegen den Mainstream durchgezogen", erinnert sich Prokop, Athleten lieber in ihren heimischen Biotopen reifen lassen. Weshalb er auch die Spitzensportreform "problematisch" sieht, die neben mehr Medaillen auch mehr Zentralisierung predigt. Ansonsten hielt sich Prokop gerne mal abseits der Machtzentren auf, das hatte Vor- und Nachteile. Einerseits schaffte er es 2015 nicht ins Council der IAAF, eine Art Regierung der Leichtathletik. Viele Reformen, die Diacks Nachfolger Sebastian Coe plant, werden derzeit ohne direkten deutschen Einfluss verhandelt. Andererseits sei er schockiert gewesen, sagt Prokop, als seine Mitbewerber damals goldene Uhren verteilten. Er konnte sich in der Folge auch freier äußern, ohne den Gesinnungszwang des Councils. Und der Sonderkongress im vergangenen Dezember, bei dem Coe unter anderem eine Integritätseinheit ins Leben rief, war von Prokop angeschoben worden. Wer sich zuletzt im Umfeld des DLV umhörte, vernahm aber auch Stimmen, die sich eine bessere Debattenkultur unter Prokop wünschten. Kritik von Athleten wie Robert Harting, Prokop führe seinen Sport eigensinnig, aus dem VIP-Zelt, begleitete ihn immer wieder. Prokop konterte mit Lachen - und verwies auf 140 Tage Einsatz im Jahr, im Ehrenamt. Auch wirtschaftlich gehe es dem DLV gut wie nie, die Rücklagen hätten sich verzehnfacht. Und jetzt?

Einige Landesverbände stellten zuletzt dem Vernehmen nach einen (erfolglosen) Antrag, Prokops Amtszeit zu verlängern, nachdem sein designierter Nachfolger bei einer Alkoholfahrt erwischt wurde. Von dem Antrag wisse er aber nichts, sagt Prokop. Er habe stets jetzt aufhören wollen, es sei wichtig, "dass Organisationen sich immer wieder personell verändern". Bis zum Herbst 2018 ist er OK-Chef der EM in Berlin, ansonsten wolle er andere Verbände bei der Anti-Doping-Arbeit beraten, die Szene kritisch begleiten. Die Freiheit dazu hat er bald jedenfalls noch mehr als zuvor. Neben dem Orgelspiel.

© SZ vom 17.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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