Leichtathletik:In ungekannten Höhen

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Drübergekommen: Der Münchner Tobias Potye schafft die Norm für die Europameisterschaft. (Foto: Jan Woitas/dpa)

Der Hochspringer Tobias Potye schafft die Qualifikation zur U23-EM. Dabei hat er noch bis vor kurzem überlegt, mit seinem Sport aufzuhören.

Runterbücken zu den Schuhen, Klettverschluss auf, Schnürsenkel auf, noch mal nachziehen, erneut zuschnüren, Klettverschluss wieder drüberlegen, los kann's gehen. Der Leichtathlet Tobias Potye von der LG Stadtwerke München pflegt das gleiche Ritual vor jedem Hochsprung, es gibt seinen Füßen Stabilität und seinem Kopf Sicherheit. Denn über sein Metier sagt der 22-Jährige: "Zu 95 Prozent springt der Kopf. Den Rest hat man einfach, das geht automatisch."

Tobias Potye kann etwas Stabilität und Sicherheit gebrauchen in seinem Kopf, "im Moment dreht sich vieles", sagte er am Sonntag, nachdem er bei der Leichtathletik-Gala in Regensburg seine bereits drei Jahre alte Höchstleistung um zwei Zentimeter gesteigert hatte - auf 2,25 Meter. Damit wurde er Zweiter hinter dem höhengleichen Leverkusener Mateusz Przybylko, aber viel wichtiger: Damit hatte der U20-Europameister von 2013 die vom Deutschen Leichtathletik-Verband (DLV) vorgegebene Norm für die U23-EM, die von 13. bis 16. Juli in Bydgoszcz (Polen) stattfindet, erfüllt.

Damit war nicht zu rechnen gewesen, "ich kämpfe seit einem Jahr mit einem Hoch-Weit-Sprung", berichtete Potye. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das, dass er unsauber absprang, den Impuls nicht optimal in Höhe umsetzte. Am Sonntag hatte er bereits für 2,20 Meter alle drei Versuche gebraucht, die ihm zur Verfügung standen; die 2,25 Meter überquerte er ebenfalls erst bei letzter Gelegenheit. Da zog er den Anlauf so durch wie es sein sollte, automatisch offensichtlich, denn nachher sagte er: "Ich weiß gar nicht, was ich da gemacht habe. Ich bin selbst überrascht." In seinem Kopf ging es immer noch drunter und drüber.

Die letzten drei Jahre waren ja schwierig gewesen, wegen diverser Verletzungen war er nicht mehr vorangekommen. "Entscheidend war jetzt, durchtrainieren zu können", resümierte er das vergangene Dreivierteljahr: "Die Vorbereitung war nahezu reibungslos, wir haben Substanz aufbauen können." Zudem hat er seit Herbst in dem 18 Jahre alten Talent Lucas Mihota, dem U18-Europameister vom SB DJK Rosenheim, einen Trainingspartner, mit dem er in der Werner-von-Linde-Halle im Olympiapark gelegentlich übt, was ihn offensichtlich anspornt. Zu Beginn der Hallensaison verbesserte sich der Teenager bereits auf 2,23 Meter (am Sonntag in Regensburg blieb er freilich bei 2,05 hängen). Im Winter deuteten sich auch bei Potye wieder Fortschritte an, da wurde er bei den deutschen Hallenmeisterschaften Zweiter.

Dennoch nagten Zweifel. "Man hat immer so Gedanken", erzählte er, wie um diese für sich selbst ein wenig zu ordnen: "Das Bein zwickt, es ist das letzte Jahr in der U23-Klasse, man hat nur noch diesen und noch einen Wettkampf, um die EM-Norm zu erreichen." Und das sind nur die Überlegungen, die den Sport betreffen. Sein Studium - Kunst und Multimedia - fordert ihn auch zunehmend; im Sommer will er ein Praktikum machen bei einem Münchner Unternehmen, das Computeranimationen entwirft, am Dienstag hat er dafür ein Vorstellungsgespräch. "Es kam schon der Gedanke, sich nur auf eins zu konzentrieren", sagt Potye und lässt durchblicken: Es wäre dann nicht der Sport gewesen. "Man muss auch ein bisschen leben", findet er, "man kann nicht nur den ganzen Tag an Sport denken." Seine Überlegungen drifteten zuletzt häufig ins Berufliche ab: "Wenn ich jetzt nicht meine Interessen ausprobiere, stehe ich in zwei Jahren da und weiß immer noch nicht, was ich machen will", sagt er.

Nun will er es auch im Hochsprung noch einmal wissen. Die erhöhte Leistung, die er für die Aufnahme in den B-Kader des DLV erbringen muss, liegt nun bei 2,26 Meter - dazu fehlt also nicht mehr viel. Außerdem sind die 2,30 Meter in seinen Blick geraten, die Schwelle zur internationalen Klasse. In Regensburg wurden die Höhen so gesteigert wie bei einer WM, also fünfzentimeterweise bis zu 2,30. "Ich habe vorher gescherzt, dass ich die 2,25 auslasse und am Ende einen Versuch bei 2,30 mache", erzählte Potye; diese Marke hatte er noch nie in Angriff genommen: "Aber das habe ich ja auch so geschafft." Jetzt müsste er nur noch einmal drüberkommen.

© SZ vom 12.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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