Leichtathletik:Im Namen des Vaters und des Onkels

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Patrick Karl vom TV Ochsenfurt hat sich über 3000 Meter Hindernis für die Europa­meisterschaften qualifiziert. Er fügt der Familiengeschichte damit ein neues Kapitel hinzu.

Von Joachim Mölter

Tja, der Lebensmittelpunkt, wo ist der nun? Patrick Karl überlegt, er überlegt und überlegt weiter, zu einem eindeutigen Ergebnis kommt er nicht. Zwischen Oktober und Januar wohnt er in Dachau, dort ist er zur Ausbildung bei der bayerischen Bereitschaftspolizei. Die restlichen acht Monate des Jahres ist er freigestellt für den Sport, dann zieht er durch die Lande, von einem Ort zum nächsten. Patrick Karl ist Leichtathlet, Spezialdisziplin 3000 Meter Hindernis, der 22-Jährige gehört dem sogenannten Perspektivkader des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) an, zuletzt hat er drei Monate in Erfurt verbracht, wo der für ihn zuständige Bundestrainer Enrico Aßmus ansässig ist. Aller Voraussicht nach bezieht der Läufer demnächst ein Zimmer in Kienbaum, östlich von Berlin. Im dortigen Bundesleistungszentrum sammelt der DLV seine Auswahl für die Anfang August in der Hauptstadt ausgetragenen Europameisterschaften, und dafür hat sich Karl am vorigen Wochenende endgültig qualifiziert bei den deutschen Meisterschaften; dafür musste er im Übrigen seinen Lebensmittelpunkt kurzzeitig mal nach Nürnberg verlegen.

Der Verband will sein EM-Aufgebot zwar erst am Mittwoch bekanntgeben, aber es gibt keinen Grund, warum er dem Hindernisläufer vom TV Ochsenfurt einen der drei zur Verfügung stehenden Startplätze verweigern sollte. Er hat die geforderte EM-Norm von 8:34,00 Minuten erbracht, als er seine Bestzeit vor zwei Wochen auf 8:31,81 gesteigert hat. Er ist damit Zweiter in der DLV-Jahresbestenliste hinter Martin Grau vom LSC Höchstadt/Aisch (8:26,18), und hinter dem kam er auch bei den Titelkämpfen im Nürnberger Stadion ins Ziel, in 8:33,90 zu 8:41,22 Minuten.

Trotz aller sportlichen Rivalität verbindet den Unterfranken Karl viel mit dem Mittelfranken Grau. Im Erfurter Haus der Athleten wohnten sie unlängst auf verschiedenen Stockwerken, sie trainierten dort gemeinsam. "Wir helfen uns, wir kommen gut miteinander aus", erzählt Karl über Grau: "Ohne ihn hätte ich die Norm für Berlin nicht geschafft." Als er neulich in Pfungstadt besagte 8:31,81 Minuten rannte, stellte sich Grau jedenfalls als Tempomacher für ein Trio zur Verfügung, das der Norm noch hinterherjagte. "Es ist ja auch positiv für ihn, wenn noch ein, zwei andere Deutsche in Berlin dabei sind", sagt Karl.

Diesen Gemeinschaftsgedanken hat Patrick Karl schon in seiner Kindheit verinnerlicht. In Ochsenfurt, einer Kleinstadt in der Nähe von Würzburg, wurde er in eine sportbegeisterte Familie hineingeboren. "Wir wurden als Kinder immer in den Wald mitgenommen zum Laufen", sein Bruder, seine Schwester und er. Seine Mutter rennt bis heute bei Marathons mit, sein Vater trainiert ihn immer noch, wenn auch mittlerweile im Austausch mit dem Bundestrainer Aßmus. Klaus Karl war einst selbst Hindernisläufer, Bestzeit 9:05,68 Minuten aus dem Jahr 1986. Da ist sein Sohn schon schneller unterwegs, aber noch nicht schnell genug für den Rekord der Familie Karl. Den hält Patricks Onkel Hubert mit 8:27, 95, aufgestellt beim Gewinn der deutschen Meisterschaft 1989 in Hamburg. Immerhin darf Patrick Karl nun als Erster seiner Lauffamilie bei einer internationalen Meisterschaft der Erwachsenen mitmachen; bei den Junioren war er schon dabei.

Hubert Karl verfolgt die Laufbahn seines Neffen intensiv, am Samstag saß der 54-Jährige in Nürnberg auf der Zuschauertribüne. "Er hat viel mehr Potenzial als ich gehabt habe", sagt er, "aber das muss man auch erst mal auf die Bahn bringen." Das Hauptkriterium für eine erfolgreiche Karriere, sagt er, "werden die Knochen sein, ob die Beine halten". Damit hatte Patrick Karl im vorigen Jahr erstmals größere Probleme, ein Knochenödem kostete ihn die ganze Saison. In diesem Frühjahr zwang ihn dann ein Muskelfaseriss zu einer fünfwöchigen Laufpause. In Nürnberg bestritt er erst sein viertes Rennen in diesem Sommer; umso bemerkenswerter sind die bisherigen Leistungen, zu denen auch der Gewinn des deutschen U23-Titels gehört. Aber "man braucht mehr als ein, zwei gute Rennen, um seine Form voll zu entfalten", weiß Hubert Karl aus eigener Erfahrung.

1989, in seiner besten Saison, gab es keine internationale Meisterschaft, 1990 warf ihn ein Achillessehnenanriss zurück, "das hat dann nicht mehr gereicht für die EM", erinnert er sich. 1991 war er noch mal nah dran, eine Zehntelsekunde hat ihm gefehlt zur WM-Norm für Tokio. Tokio ist auch ein Stichwort für Patrick Karl, dort findet in zwei Jahren Olympia statt, "das näher rückende Fernziel", wie er sagt. Für die Spiele 2016 in Rio war die Norm auf 8:30 Minuten festgesetzt, das weiß er noch. "Das ist wirklich greifbar", sagt er nun, "das wäre der Wahnsinn." Und die Fortführung einer besonderen Familiengeschichte.

© SZ vom 24.07.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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