Leichtathletik:Flucht nach vorne

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Die Erleichterung muss raus: Die Ukrainerin Jaroslawa Mahutschich bejubelt den Gewinn der Goldmedaille. (Foto: Darko Vojinovic/dpa)

Die Ukrainerin Jaroslawa Mahutschich gewinnt Gold im Hochsprung bei der Hallen-WM in Belgrad und widmet den emotionalen Sieg ihrer Heimat, die sie wegen des Kriegs verlassen musste. "Ich muss unser Land auf der Bahn beschützen", sagt sie.

Als ihre Mission vollendet war, riss Jaroslawa Mahutschich die ukrainische Flagge hoch, hüpfte auf die Bahn und und stieß dort einen erlösenden Jubelschrei aus. "Stunden der Panik" hatte sie erlebt, erzählte die Hochspringerin später, und diese Panik hatte nur sehr wenig mit der Hallenweltmeisterschaft der Leichtathleten in Belgrad zu tun. Mahutschich zählte dort ohne Frage zu den Topfavoritinnen in ihrer Disziplin, die 20-Jährige hat in der Halle schon 2,06 Meter übersprungen. Ein Jahr ist das her, doch da war die Welt noch eine andere. Am Samstag stellte sie mit 2,02 Meter eine Weltjahresbestleistung auf, sie holte damit den Titel vor der Australierin Eleanor Patterson (2,00 m) und Nadeschda Dubowizkaja aus Kasachstan (1,98 m). Und dann sah man förmlich, wie eine überwältigende Last von ihren Schultern fiel.

In einem Keller hatte sie gemeinsam mit ihren Eltern ausgeharrt nach dem russischen Angriff auf ihr Heimatland, so schilderte sie, dann sei sie mit dem Auto durch das Kriegsgebiet angereist, 2000 Kilometer von ihrer Heimatstadt Dnipropetrowsk bis nach Belgrad, eine etwa 60-stündige Flucht, die begleitet wurde von "Explosionen, Bränden und Luftschutzsirenen".

Kaum geregeltes Training war seither möglich, die Gedanken kreisten um die Menschen daheim, und kurz zuvor habe sie noch daran gezweifelt, ob sie überhaupt würde springen können. Doch sie hatte ja das große Ziel: "Ich muss unser Land auf der Bahn beschützen." Fingernägel, Augen-Make-Up, alles erstrahlte in Blau und Gelb und ließ keinen Zweifel an ihrer Entschlossenheit. Die 2,00 Meter riss sie zweimal, musste die Nerven bewahren. Und als ihr emotionaler Sieg dann feststand, als sie als einzige 2,02 Meter übersprungen hatte, widmete sie ihre Goldmedaille natürlich ihrer Heimat. "Ich habe das für die komplette ukrainische Nation getan, um zu zeigen, dass wir die Stärksten in der Welt sind", sagte Mahutschich ergriffen. Sie wolle Frieden für ihr Land.

Die Nerven halten: Die 2,00 Meter schafft Mahutschich erst im dritten Versuch. (Foto: Petr David Josek/dpa)

Bei der Medaillenvergabe überreichte Sebastian Coe der U-20-Rekordhalterin einen handgeschriebenen Brief, in dem der Präsident des Weltverbandes World Athletics seinen "Dank und Bewunderung" ausdrückte. "Ihre Leistung heute Morgen zeugt von Ihrer Leidenschaft für unseren Sport und Ihrer Entschlossenheit in einer so schrecklichen Zeit für Ihr Land", hieß es darin. Mahutschich, eine von sechs ukrainischen WM-Teilnehmerinnen, wird vorerst nicht in die Ukraine zurückkehren, sondern nach Deutschland weiterreisen und bei ihrem Sponsor in Herzogenaurach Quartier beziehen.

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