Als Jan Fitschen in die letzte Kurve des 10 000-Meter-Finales bei den Europameisterschaften 2006 in Göteborg einbog, konnten sich selbst die Fernsehkommentatoren nicht mehr zurückhalten. "Lauf Junge!", schrie einer, "das kann dein Rennen werden!" Und Fitschen lief, nein, er flog. Vorbei am ersten Spanier, vorbei am zweiten Spanier, dem Führenden. Als wäre es das Einfachste auf der Welt, nach 24 Runden das Tempo noch einmal zu erhöhen. "Unfassbar!", rief der Kommentator, bevor Fitschen die Ziellinie als Erster überquerte. Fitschen, der eigentlich nur unter die ersten Acht wollte, war Europameister.
"Göteborg ist für mich nach wie vor unbegreiflich", sagte Fitschen am Mittwochnachmittag über den Sturmlauf, den sich heute noch viele deutsche Nachwuchsläufer im Internet als Motivation ansehen. "Dieser Lauf hat mein Leben total umgeschmissen. Wäre ich nur Vierter geworden, hätte man mich völlig anders wahrgenommen", analysierte er, so wie man das eben macht, wenn man Bilanz zieht. Fitschen beendete jetzt offiziell seine Karriere.
"Ich bin erleichtert, dass es so weit ist", erklärte Fitschen. Sieben Mal wurde er über 5000 und 10 000 Meter deutscher Meister. Später wechselte er auf die Marathondistanz, war mit 2:13:10 Stunden in Berlin 2012 der schnellste Europäer. Aber dann machte sein Körper, der ihn schon vor den Olympischen Spielen 2008 zu einer Pause zwang, nicht mehr mit. Seit 2013 schmerzte die Achillessehne. Er wurde operiert, verpasste die EM 2014. "Aber aufhören kam für mich noch nicht in Frage", sagte er.
Erst jetzt, nach zwei Jahren ohne richtiges Training und nach einer zweiten Operation ist sich Fitschen sicher, dass es Zeit ist zu gehen. Stattdessen möchte er sein Wissen über das Laufen als Trainer weitergeben, oder als Autor. "Ich hab' den Leistungssport mit aller Konsequenz und mit voller Leidenschaft gelebt", sagte Fitschen. Die Kommentatoren von Göteborg können das sicher bestätigen.