Leichtathletik:Die Hindernisse von Lille

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Weit voraus: Gesa Felicitas Krause. (Foto: Francois lo Presti/AFP)

Gesa Felicitas Krause gewinnt souverän und legt die Grundlage zur deutschen Halbzeitführung bei der Team-EM. Dass die nicht klarer ausfällt, liegt auch an einer Windböe, die Thomas Röhlers Speer zum Absturz bringt.

Von Joachim Mölter, Lille

Gesa-Felicitas Krause hatten sie alle übersehen oder sonstwie aus den Augen verloren, die Zuschauer bei der Team-EM in der Leichtathletik, selbst die Kampfrichter im Stadion von Lille. Als die 24-Jährige vom TV 1843 Dillenburg nach über 3000 Meter Hindernis ins Ziel kam, lief die Zeit einfach weiter, auch auf den Tribünen tat sich nichts. Die Uhr wurde erst später angehalten, als die Britin Lennie Waite ankam; die hatte sich in einem packenden, vom Publikum dann begeistert angefeuerten Endspurt gegen vier gleichauf kämpfende Rivalinnen durchgesetzt.

"Einsam vorneweg zu laufen, ist ja eher ein Privileg", fand Krause nachher; es war zumindest die Bestätigung, dass ihr Plan aufgegangen war: "Ich hatte mir vorgenommen, mein eigenes Rennen zu laufen." Was blieb ihr anderes übrig nach einem Blick auf die Meldeliste? Der Abstand der Europameisterin zur nächstbesten Läuferin im Teilnehmerfeld betrug fast eine halbe Minute, wenn man die Saisonbestzeiten zugrundelegt. Krause, Europameisterin von 2016 und WM-Dritte von 2015, lief quasi außer Konkurrenz.

Speerwerfer Röhler kämpft mit dem Wind

Nach 9:27,02 Minuten hatte sie ihr Tagwerk beendet und am Samstag für den ersten von zwei Disziplinsiegen des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) gesorgt; den zweiten steuerten später die 4x100-Meter-Sprinterinnen bei (42,47 Sekunden). Neben insgesamt sieben zweiten Plätzen war das die Grundlage, dass die DLV-Auswahl zur Halbzeit des zweitägigen Wettbewerbs mit 166 Punkten vor Polen (150,5), Großbritannien (144,5) und Gastgeber Frankreich (134) führte. Titelverteidiger Russland war nicht am Start - der dortige Leichtathletik-Verband ist vom Weltverband IAAF wegen seiner systematischen Dopingvergehen suspendiert.

Es sah also so aus, als könnte die DLV-Auswahl ihrer Favoritenrolle genauso gerecht werden wie Gesa-Felicitas Krause der ihrigen. Aber die 1,67 Meter große Läuferin erinnerte daran, dass so ein Wettkampf kein Selbstläufer ist: "Man muss erst mal alle 35 Hindernisse bewältigen." Eine Erfahrung, die der Speerwerfer Thomas Röhler an diesem Tag in gewisser Weise auch machte. Wobei dem Weltjahresbesten keine Hindernisse im Weg standen, sondern ein Wind in die Quere kam, der mal mehr, mal weniger forsch durchs Stadion wehte. Dieser Wind brachte Röhlers Speer bereits bei 84,22 Meter zum Absturz. Das war Platz drei hinter dem Tschechen Jakub Vadlejch (87,95) und dem Griechen Ioannis Kiriazis (86,33).

Krause: "Es ist noch mehr drin, aber das muss rausgekitzelt werden."

Mit dem Werfer Röhler hat die Läuferin Krause eines gemeinsam: Beide stellten beim Diamond-League-Auftakt in Doha Anfang Mai deutsche Rekorde auf. Der Unterschied: Die 93,90 Meter von Röhler fanden weltweit Beachtung, weil nur Weltrekordler Jan Zelezny (Tschechien) jemals weiter kam (anno 1996 auf 98,48, zufällig in Röhlers Heimatstadt Jena). Krauses 9:15,70 Minuten hingegen reichen in Europa gerade mal für die Top Ten. Dass man sie deswegen übersehen oder aus den Augen verloren hat, findet sie nicht: "Das wurde schon gewürdigt, ich hatte eine gute Resonanz nach Doha." Um bei den Weltmeisterschaften Anfang August in London wieder eine Medaille zu holen, muss sie freilich noch zulegen, das weiß sie.

Gesa-Felicitas Krause will sich deshalb erst mal aufs Trainieren konzentrieren, sie fühlte sich zuletzt ausgepowert nach einer kräftezehrenden Wettkampfserie mit Stationen in Doha (Katar), Shanghai (China), Eugene (USA), Hengelo (Niederlande) und Oslo (Norwegen). "Vielleicht habe ich mich da ein bisschen übernommen", glaubt sie jetzt. In der norwegischen Hauptstadt zollte sie ihrem Programm jedenfalls Tribut und gab auf. "Gerade nach diesem Tiefschlag war das Rennen heute wichtig", fand sie. Die vorgesehenen Starts bei den Diamond-League-Meetings in Paris und Lausanne hat sie trotzdem abgesagt, um Zeit fürs Training zu bekommen. Nach den deutschen Meisterschaften in Erfurt (8./9. Juli) bereitet sie sich dann in Davos auf den Saisonhöhepunkt vor. "Bei der WM will ich meine Bestzeit bestätigen und vielleicht sogar verbessern", sagt sie: "Ich denke, es ist noch mehr drin, aber das muss rausgekitzelt werden. Und dafür brauche ich alle Kraft."

© SZ vom 25.06.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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