Leichtathletik:Der Mann, der nicht weiß, wie es weitergeht

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„Ich hab’ gemerkt, was die heute vorhaben, das kannst du nicht“: Florian Orth (3.v.r.) bei der Leichtathletik-EM im Finale über 5000 Meter. (Foto: Bernd Thissen/dpa)

Der Regensburger Florian Orth belegt über 5000 Meter bei der EM nur Rang 17. Aus den DLV-Kadern wurde der 13-fache deutsche Meister gestrichen.

Von Joachim Mölter

Florian Orth hatte im Grunde schon alles erzählt, aber er blieb in der Mixed Zone des Berliner Olympiastadions stehen, da, wo sich nach den EM-Wettkämpfen die Leichtathleten und die Journalisten mischen. Er klammerte sich an die Absperrung und erzählte weiter und weiter, man sah förmlich, wie es in seinem Kopf arbeitete, wie das Herz ihm überquoll. Hinter ihm gingen deutsche Medaillengewinner vorbei, deren Wettkämpfe viel später begonnen hatten, einer nach dem anderen; sie hatten auch viel zu erzählen gehabt an diesem Abend, aber sie waren irgendwann fertig damit. Nur Florian Orth, der Mittelstreckler von der LG Regensburg, stand immer noch da. Ein Mann, der nicht weiß, wie es weitergeht.

"Ob und wie's weitergeht, muss ich noch überlegen", sagte Orth, der im 5000-Meter-Finale den 17. Platz belegt hatte in 13:37,46 Minuten. Er tat sich schwer, dieses Ergebnis einzuordnen. "Da läuft man im Rahmen seiner Saisonbestzeit und schaut sich das Feld ganz schön weit von hinten an", haderte der 29-Jährige - und schlug dann einen Bogen über seine vier EM-Teilnahmen seit 2012: "Das war der schlechteste Platz, es ist pervers, wie das Niveau gerade ist." Vor zwei Jahren in Amsterdam hatte Orth als Siebter seine beste EM-Platzierung erreicht, in einer schwächeren Zeit, 13:45,40. Er habe auf ein ähnliches, taktisches Rennen gehofft, "wo alle mitspielen können", erzählte Orth. Aber sie lassen ihn nicht mehr mitspielen.

Florian Orth, 13 Mal deutscher Meister, viermal bei der EM dabei, einmal bei Olympia, wurde vor der Saison aus allen Kadern des Deutschen Leichtathletik-Verbands (DLV) gestrichen, wegen Perspektivlosigkeit, hieß es. Keine Kaderzugehörigkeit, keine Unterstützung - "ich muss mir den Spaß hier irgendwie finanzieren", erklärte Orth in Berlin, "also steh' ich halt in der Praxis und mach einen auf Zahnarzt."

Das ist jetzt sein Hauptberuf, Laufen nur noch ein Hobby, trotzdem gelang es ihm ein weiteres Mal, sich für die EM zu qualifizieren, mit Mühe und im letzten Moment. Und nun erlebte der 29-Jährige in Berlin mit, wie an der Spitze des Rennens die Post abging, wie die Profis aufs Tempo drückten, wie der erst 17 Jahre alte Jakob Ingebrigtsen aus Norwegen die 5000 Meter gewann, in Junioren-Weltrekordzeit von 13:17,06 Minuten - nur einen Tag, nachdem er bereits die 1500 Meter gewonnen hatte. Hätte sich Florian Orth nicht am Absperrgitter festgehalten, man hätte sehen können, wie hin- und hergerissen er war. Zwischen Resignation und Trotz.

"Man könnte sagen, der Kreis schließt sich", bilanzierte Orth: "Ich bin vor zehn Jahren hier im Olympiastadion deutscher Jugendmeister geworden." Vor einer kleineren Kulisse natürlich. Aber nun war er von 60 000 Menschen angefeuert worden, ein beeindruckendes Erlebnis. "Das Feuer und die Leidenschaft sind wieder da, wenn man so einen Moment hier genießen kann", sagte er: "Dann weiß man, wofür man das macht." Regensburgs Cheftrainer Kurt Ring glaubt, dass Orth sein Potenzial über 5000 Meter noch nicht ausgeschöpft hat, dass seine erst zwei Jahre alte Bestzeit von 13:23,67 noch nicht das Ende war; bei Olympia in Rio war er noch mal sehr nah an diese Zeit herangekommen, in 13:28,88 Minuten. Dem Läufer selbst schweben auch die 10 000 Meter und der Marathon im Kopf vor, vielleicht Straßenrennen. Er möchte noch nicht aufhören mit dem Laufen, das merkt man, aber er hat ja keine Perspektive. Hat ihm der DLV bescheinigt. Hat er vielleicht auch selbst gemerkt, als er das Feld am Samstag ganz schön weit von hinten sah. "Ich hab' gemerkt, was die heute vorhaben, das kannst du nicht", sagte Orth. Irgendwann war der Anschluss einfach weg.

Und irgendwann war an diesem Samstag dann auch Florian Orth mal weg aus dieser Mixed Zone mitsamt seinen schweren Gedanken. Wie ist es möglich, dass ein 17-Jähriger so schnell rennt? Was wäre möglich, wenn er selbst weiter professionell trainieren könnte? Florian Orth wusste noch keine Antwort, er wusste nur, es muss jetzt mal weitergehen, so oder so.

© SZ vom 14.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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