Larssons Elfmeter:Fast so hoch wie Uli Hoeneß

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Mit einer Auswechslung irritiert Schwedens Trainer seinen Elfmeterschützen und verhindert, dass die DFB-Elf erstmals unter Druck gerät.

Christof Kneer

Dies ist eine Fußball-WM, man muss das ab und zu noch mal sagen. Das ist nicht direkt eine neue Nachricht, aber möglicherweise hat sie sich noch nicht unter allen Teilnehmerländern herumgesprochen, wobei das den Schweden jetzt auch nicht mehr hilft.

Die Schweden können ja ziemlich viel, zum Beispiel den Berg runterfahren, auf dünnen Brettern durch den Schnee rennen, und mit Schlittschuhen und einem Stock in der Hand auf dem Eis herumkurven.

Vielleicht ist das ein bisschen viel auf einmal, jedenfalls ist Trainer Lars Lagerbäck im Achtelfinale dieser Fußball-WM mit den Sportarten durcheinandergekommen.

Es hat Elfmeter für seine Schweden gegeben in der 53. Minute, und Lagerbäck hat dem vierten Mann am Spielfeldrand schnell ein Zettelchen zugesteckt. Der vierte Mann hat daraufhin seine Tafel gezückt, auf der die "18" und die "21" aufleuchteten, und dann ist der Spieler Jonson hinuntergetrabt vom Rasen und der Spieler Wilhelmsson hinauf.

Dann ist der Spieler Larsson angelaufen, er hat ein bisschen gewackelt dabei, und dann hat er den Ball übers Tor getreten.

Eine sensible Sache

Im Fußball macht man das nicht, normalerweise. Ein Elfmeter ist eine sensible Sache, und keinem Trainer der Welt kann daran gelegen sein, seinen Schützen zusätzlich zu belasten.

Im Basketball machen das die Feindestrainer gern, sie wechseln noch mal schnell, bevor die anderen zum Freiwurf schreiten. Im Fußball ist diese Art psychologischer Kriegsführung eher unbekannt, und erst recht hat man noch nie erlebt, dass ein Trainer den eigenen Spieler irremacht.

Natürlich wird niemand jemals die Kausalität zwischen Spielerwechsel und Elfmeterfehlschuss nachweisen können, aber man hat im Stadion förmlich spüren können, wie das Spiel plötzlich bockte. Aus schwedischer Sicht war es gerade so schön im Fluss gewesen, und flankierend hatte sich auch noch der Deutsche Christoph Metzelder um die schwedische Eigendynamik verdient gemacht, indem er Larsson ungelenk zu Fall brachte.

Jetzt aber schön die Welle weiterreiten und schießen, so hatte Larsson sich das vorgestellt - bis sein Trainer die Welle brach. "Ich wollte den Ball in die andere Ecke schießen, habe ihn aber mit dem Außenrist getroffen, das war ein totaler Fehlschuss", sagte Henrik Larsson zerknirscht.

Der Elfmeter und die K.o.-Runde, das ist eine alte, immer neue Geschichte, und vielleicht darf sich Larsson mit dem Gedanken trösten, dass er die historische Turnierrekordhöhe deutlich unterschritten hat. Jenen Rekord hält weiterhin unangefochten Uli Hoeneß, der 1976 im EM-Finale einen Elfmeter derart himmelwärts jagte, dass der Ball bis heute als vermisst gilt.

Wer suchen möchte, bitteschön, in Belgrad war das damals, aber es ist nicht auszuschließen, dass der Ball heute in einer der Teilrepubliken liegt. So herrlich versemmelt hat Larsson keineswegs, sein Schuss hätte es höchstens auf den Busparkplatz hinter der Arena geschafft, er hätte vielleicht im schwedischen Bus landen können und wäre dann nach Malmö oder Norköping transportiert worden.

Aber heute fliegen keine Bälle mehr aus Stadien, und die Arena in München ist besonders steil, vermutlich wegen Uli Hoeneß.

Ein bisschen Glück

"Und dann, tja, hatten wir bei dem Elfmeter auch ein bisschen Glück", hat Christoph Metzelder später gesagt und er hat gegrinst, als würde er sich gerade vorstellen, wie ein ehrenwerter Nordmann in Malmö oder Norköping den heiligen Fifa-WM-Ball auspackt.

Die Deutschen haben sich hinterher ein bisschen Gelassenheit leisten können. Was aber wohl passiert wäre, wenn Larsson getroffen hätte? "Der Elfmeter war natürlich schon ein wichtiger Schuss für uns", sagte Lukas Podolski, "wenn er reingegangen wäre, wäre es vielleicht noch mal eng geworden."

Es gibt ja diese Momente, in denen stabile Spiele aus unerfindlichen Gründen ins Trudeln geraten, und man weiß jetzt nicht genau, ob man Larsson dankbar sein soll. Fürs Erste gibt es also weiterhin keine Erkenntnisse darüber, wie dieses Deutschland reagiert, wenn es psychisch unter Druck gerät; wenn es eine gegnerische Welle auf sich zuschwappen sieht und nicht der gegnerische Trainer kommt und sie bricht.

Der Elfmeter ist eine zentrale Stelle in diesem Spiel gewesen, und vielleicht war er auch so etwas wie die letzte Mahnung: Hallo Deutschland, du wirst nicht in jedem Spiel auf Hoeneß'sche Flugkurven vertrauen können. So steckte in diesem Elfmeter auch eine der wenigen nicht so guten Nachrichten dieses Achtelfinalspiels.

Man weiß jetzt zwar, dass Christoph Metzelder schon wieder erstaunlich präsent und griffig verteidigen kann; man weiß aber auch, dass er für solche Tapsigkeiten wie beim Foul an Larsson nach wie vor zu haben ist.

Den Schweden wird das nicht mehr weiterhelfen, aber vielleicht finden die Fußballer, Skifahrer, Langläufer und Eishockeyspieler am Ende doch noch einen kleinen, sportartübergreifenden Trost: Beim American Football wäre Larssons Schuss mit einem Extrapunkt belohnt worden.

© SZ vom 26.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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