L'Alpe d'Huez:Durch die Hölle in den Himmel

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Geheult, geflucht, geschrien: Amateurrennradler Taufig Khalil quälte sich die 21 Serpentinen in Alpe d'Huez hoch, bei 42 Grad und vor allem: ohne Doping.

Gerald Kleffmann

Taufig Khalil muss verrückt sein. Am Montag hat er an einem Radrennen teilgenommen, mit 8500 anderen Teilnehmern fuhr er die berüchtigte Strecke zwischen Gap und Alpe d'Huez in Frankreich. Khalil hat elfeinhalb Stunden benötigt für die 188 Kilometer, er hat in diesen elfeinhalb Stunden die Hölle erlebt, und das ist genau so zu verstehen.

Geheult, geflucht, geschrien, aber angekommen: Taufig Khalil. (Foto: Foto: oh)

Er hat während der Fahrt mehrmals gekotzt, er hat geheult, geschrien, geflucht, er war am Boden zerstört, entmutigt, gebrochen, er wollte aufgeben, hat sich einfach in die Wiese neben die Straße gelegt, hat vor seiner Ehefrau am Handy gewinselt, hat sich von fremden Passanten trösten lassen, hat andere Autos gestoppt, die ihn mitnehmen sollten, er hat eine Menge unternommen, um während dieser unmenschlichen Tortur aufzugeben, aufzuhören, einfach zu streiken.

Letztlich aber kam Taufig Khalil doch ins Ziel, irgendwie, er weiß selbst nicht mehr wie, sein Selbsterhaltungstrieb im Sattel war stärker als jede Pein, und dann jubelte er, als er in 1860 Metern Höhe vom Rad stieg, ehe er kollabierte, sich nochmals erbrach und verstummte. Eine ganze Stunde lang taumelte er im Delirium. Taufig Khalil ist, man darf das schreiben, er sieht das ja auch so, verrückt. Fahrradverrückt.

Khalil, ein Hörfunkjournalist aus München, ist erstmals vor zwei Jahren auf einem Rennrad gefahren. Er war sofort begeistert von diesem Sport, und so dauerte es nicht lange, bis er sich Herausforderungen suchte. Die reizvollste entdeckte er in Frankreich. Während der Tour dürfen Amateurfahrer eine Etappe bewältigen. L'Etape du Tour nennt sich dieses Ereignis, man muss sich ein Jahr vorher anmelden, weil alle Startplätze sofort ausgebucht sind. 2005 fuhr Khalil erstmals mit, er schaffte den Col d'Aubelisque, einen Klassiker in den Pyrenäen.

"Das war ein Kindergeburtstag im Vergleich zu jetzt", sagt Khalil. Er klingt gut, am Tag nach seinen Qualen ist er wieder zu Kräften gekommen. Wenngleich er meint: "Ich weiß nicht, wie die Profis jeden Tag solche Berge hochfahren können. Nur mit Müsli und Bananen geht das nicht." Man muss nur an Ullrich denken, dann weiß man, wovon er spricht. Doping.

"Ich schwöre, dass ich zu 100 Prozent sauber bin und noch nie gedopt habe", sagt Khalil, der danach lachen muss, weil das schon lustig ist, wie er, der Amateur, ein Statement wie ein Profi abgibt. Aber, ein bisschen Ernst ist auch dabei, "ich habe es ganz allein geschafft", weiß Khalil, der nach wie vor seinen Sport liebt, auch wenn er sich sicher ist, "dass es bei vielen Profis eine hohe kriminelle Energie gibt". Umso stolzer ist er auf sich, dass er seine 1,83 Meter und 88 Kilo auf legale Weise die Berge hochgewuchtet hat. Zum Vergleich: Andreas Klöden vom Team T-Mobile wiegt bei der selben Größe 63 Kilo. Khalil sagt: "Ich habe es nur mit meinem Willen geschafft." Ein paar Zufälle haben ihm auch geholfen.

5000 Kilometer hat Khalil vorher abgespult, um sich vorzubereiten. Alpe d'Huez, das sind 21 Serpentinen, das sind 1100 Höhenmeter. Alpe d'Huez, das ist wie für Kletterer der Mount Everest. Alpe d'Huez, das bedeutet das fieseste Getrete im Radsport schlechthin. "Wenn du aus jeder Serpentine rauskommst, fährst du wie gegen eine Wand", sagt Khalil. Im Schnitt 7,9 Prozent beträgt die Steigung, aber das war bei dieser Etappe noch längst nicht alles. Ehe die Tausende von Fahrern in ihre Folterkammer einbogen, waren über 170 Kilometer schwierigstes Gelände zu passieren.

Anfangs musste sich jeder erst einmal aus der Meute kämpfen, "nach dem Start dauerte es 45 Minuten, bis der letzte fahren konnte", sagt Khalil, der Fuchs. Er war diesmal so schlau und hat sich gleich vorne eingereiht, morgens um sieben ging es los. Um elf Uhr erreichte er den Col d'Izoard auf 2360 m, "ich füllte mich super", mit Zuversicht stürzte er sich hinab ins Tal, um dann den Col du Lautaret auf 2058 m zu erstrampeln. Hier begann seine Hölle. Er sollte leiden wie noch nie in seinem 39-jährigen Leben.

Es wurde heißer und heißer, das Thermometer stieg auf Backofentemperatur, Schatten spendende Bäume fehlten gänzlich in dieser Mondlandschaft, "die Strecke war ein einziger Strich", Khalils Knie fingen zunehmend zu zittern an. Er erbrach sich erstmals, am Gipfel rief er seine Frau an, "ich wollte im Tal aufhören, ich war platt". Er eierte hinunter, übervorsichtig, erst vergangene Woche kamen bei einem Amateurrennen am Galibier zwei Menschen um. Khalil erreichte Lebourg d'Oisans, jenes Städtchen, wo die Qualen erst so richtig beginnen, "2000 Fans jubelten da, da konnte ich nicht absteigen", berichtet er. Er fuhr weiter, "ich wollte wenigstens die erste Rampe hochfahren". Das hätte er mal nicht tun sollen.

Nach der ersten Kehre stieg er ab, es reichte ihm, 42 Grad Hitze, Übelkeit, kaputte Knie, was sollte das alles? Zuschauer trösteten ihn. Wenn er trank, glaubte er, Teer zu schlucken, derart ausgetrocknet war sein Hals. Er war am Ende, mausetot, sein Wille auch. "Ich wollte einen Rettungswagen und einen Besenwagen dazu bringen, mich mitzunehmen." Der Rettungswagen lehnte ab, man musste sich um schlimmere Fälle wie Khalil kümmern, hieß es.

Und der Besenwagen, der die letzten Fahrer von hinten aufsammelte, war gerammelt voll, die Menschen "kippten nur so von den Rädern", sagt Khalil. "Ich dachte dann: Fahr Meter für Meter weiter und zähle nur die Kehren." 15 - 14 - 13 - 12 - 11 - 10. Mit 5,8 km/h schmerzte er sich hinauf, kamen ihm Sekunden wie Stunden vor. Wieder spie er Gallensaft, legte sich hin. "Courage, courage", schrien Zuschauer. Khalil trat weiter, gegen die Wand, gegen die Niederlage, das Aufgeben. 9 - 8 - 7 - 6 - 5. "Die letzten Kilometer fing ich mich", Euphorie kam auf, die ihn, 4 - 3 - 2 - 1, ins Ziel beförderte. Er landete "so auf Platz 6500".

"Nächstes Jahr bin ich wieder dabei", sagt Khalil, der sich am 18. Juli auf ein besonderes Ereignis freut. Dann quälen sich die Profis in Alpe d'Huez hoch, "ich werde im Fernsehen jeden Meter verfolgen", sagt er und lacht. Er darf das, denn er hat sie leibhaftig erlebt, diese Hölle. Vor allem: Er hat sie überlebt. Taufig Khalil, dieser verrückte Hörfunkreporter.

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