Krawalle in Rostock:Qualm über dem Spiel

Lesezeit: 3 min

Wie kann man die Randalierer unter den Fans in den Griff bekommen? Schiedsrichter Robert Hartmann (links) versuchte es in Rostock mit Ruhe. (Foto: Felix König/imago)

1400 Polizisten, zwei leere Blöcke und doch Gewaltszenen: Das Pokalspiel in Rostock zeigt, mit welch absurdem Aufwand sich manche Fans bekriegen - und dabei den Fußball kaputt machen können.

Von Thomas Hahn, Rostock

Vedad Ibisevic kennt den grausamen Krach der Gewalt. Als er ein Kind war, flohen seine Eltern mit ihm aus der Heimat vor dem Bosnienkrieg. Fußball erlebten er und die anderen Jungs damals als Spiel für die Feuerpause. Wenn die Bomben auf Tuzla fielen, unterbrachen sie ihren Kick und versteckten sich. Vedad Ibisevic, 33, Kapitän des Bundesligisten Hertha BSC, hat die Einschläge noch im Ohr, deshalb hat er nach dem Pokalspiel bei Hansa Rostock keine zu große Sache machen wollen aus dem Umstand, dass die Fans auf der Tribüne des Ostsee-Stadions Böller und anderes Feuerwerk zündeten. "Das hat mich nicht sehr erschrocken", sagte Ibisevic. Es nervte ihn eher, dass diese Leute in der Menge keinen Respekt vor dem Frieden hatten. "Schade, dass das Spiel unterbrochen werden musste."

Bei Hertha BSC hätten sie am späten Montagabend sehr gerne mehr von ihrem 2:0-Erfolg beim kämpferischen Drittligisten Hansa Rostock erzählt. Der war nämlich souverän genug, um zu zeigen, dass die Mannschaft von Trainer Pal Dardai gut vorbereitet ins neue Bundesliga-Semester geht. Die Tore von Mitchell Weiser (86.) und Ibisevic (90.+2) fielen spät, aber zwangsläufig. Herthas Ordnung stimmte, die Einstellung auch. Manager Michael Preetz sagte selbst, dass er ausreichend Stoff für eine kleine Hymne auf seine siegreichen Saison-Einsteiger beisammen gehabt hätte. Aber die sparte er sich.

Herthas Sieg war nicht das Thema. Die Sabotage des Fußballs durch einige seiner Fans war das Thema.

Das Pokalspiel in Rostock hat ein Beispiel dafür geliefert, wie das deutsche Nationalspiel einerseits von der Energie seiner Anhänger lebt, wie es andererseits aber auch daran kaputt gehen kann. Die Atmosphäre im Ostseestadion war lange so voll von den Gesängen der Fans, dass dieser Ort eine sehr eigene Kraft entfaltete. Voller Hingabe wandten sich die Rostocker auf den Rängen ihrem FC Hansa zu, jubelten über alles, was der Mannschaft gelang: über Grätschen, über Pässe, oder wenn der Ball nach einem Hertha-Freistoß von der blauen Abwehrmauer zurückprallte.

Hansa kämpfte und forderte den Favoriten. Der letzte DDR-Meister schien nach Jahren der sportlichen und wirtschaftlichen Krise ein Lebenszeichen vom fernen Nordosten in den Rest der Republik senden zu wollen. Und den Fußballern machte es sichtlich Spaß, sich von diesem freundlichen Lärm tragen zu lassen. "Der Support von unseren Fans war überragend", sagte Hansa-Verteidiger Oliver Hüsing. "Das war lange wirklich ein schöner Fußballabend", sagte Hertha-Coach Dardai, "ich habe richtig gute Fans gehört."

Wie kam das Banner ins Stadion? Darüber stritten am Ende sogar noch Polizei und Verein

Aber dann? Die Feindschaft zwischen Fans von Hertha BSC und Hansa ist bekannt. Die Polizei war gewarnt. 1400 Beamte waren im Einsatz. Zwei Blöcke des Stadions blieben komplett leer, damit die Gruppen sich nicht zu nahe kommen konnten. Aber schon in der ersten Halbzeit brannten einzelne Bengalos im Hertha-Block. Kurz nach der Pause brannten plötzlich viele, Feuerwerksraketen schossen aus der Berliner Ecke. Da brach Schiedsrichter Robert Hartmann das Spiel zum ersten Mal ab. Nach zwei Minuten ging es weiter. Hertha gewann die Kontrolle über das Spiel. Und im leeren Block neben den Berlinern entrollten vermummte Rostocker irgendwann ein Hertha-Plakat, 30 mal zwei Meter groß, das sie vor drei Jahren in Berlin geklaut hatten. Sie zeigten es und zündeten es an. Ein Affront. Die Berliner antworteten mit zornigem Feuerwerk. Es war die 74. Minute. Sitzschalen brannten. Qualm lag über dem Feld. Wieder brach Hartmann das Spiel ab. Diesmal für 18 Minuten.

Für den härtesten Kern der Rostocker Ultras dürfte die Aktion so etwas wie ein dreifacher Dreier im Liga-Betrieb gewesen ein. Es war bekannt, dass sie das Hertha-Banner hatten. In Abstimmung mit der Polizei ließ der FC Hansa deshalb das Stadiongelände ab Samstag von Ordnungskräften bewachen. Am Spieltag waren sogar Spürhunde an der Suche nach dem Banner beteiligt. Trotzdem konnten die Ultras es ins Stadion bringen. Nach SZ-Informationen hatten sie es in den Tagen vor dem Spiel unter der Tribüne vergraben.

Aber Spieler und Offizielle waren sauer auf die Randalierer beider Seiten. Hansas Vorstandschef Robert Marien nannte sie "20 bis 50 Vollidioten". Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes eröffnete ein Ermittlungsverfahren. Und über die Frage, wie das Banner ins Stadion kam, entbrannte zu allem Überfluss auch noch ein Streit zwischen Polizei und Hansa. Für Michael Ebert, Leiter der Polizeiinspektion Rostock, lag nach dem Spiel die Vermutung nahe, "dass das Banner über vereinseigene Strukturen und mit Wissen von Vereinsoffiziellen ins Stadion gelangen konnte". Marien fand: "Schuldzuweisungen und pauschale Verurteilungen von Vereinsmitarbeitern und Vereinsoffiziellen unmittelbar in der Nacht der Ereignisse sind sicherlich in keiner Weise hilfreich, dienlich und gerechtfertigt."

Das Problem mit den gewaltbereiten Fans, die das stimmungsvolle Werk der anderen zerstören, wird man wohl kaum im Streit beheben können. Hertha-Kapitän Ibisevic schien jedenfalls nicht viel davon zu halten, den Turbulenzen die Ehre einer längeren Empörung zu geben. Er ärgerte sich leise über die Unterbrechungen. "Das ist für den Körper und den Rhythmus nicht gut", sagte er und dachte ans nächste Spiel.

© SZ vom 16.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: