Kommentar:Zwischen Kurve und Loge

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Die Wahl des in Stuttgart umstrittenen Wolfgang Dietrich zum VfB-Präsidenten muss kein schlechtes Zeichen sein. Der Mann hat Ahnung vom Geschäft und Kontakte zur Wirtschaft - er könnte den Klub zur Ruhe bringen.

Von Josef Kelnberger

Ja, wirklich, der VfB Stuttgart, einer der traditionsreichsten deutschen Vereine, spielt neuerdings in der zweiten Liga. Man hätte das glatt übersehen können. Keiner hat nach dem Abstieg Trauer getragen, keiner Protestmärsche veranstaltet. In dieser reichen, saturierten Stadt nahm man das Siechtum des VfB ebenso gleichmütig hin wie im Rest des Landes. Mal wieder ein Trainerwechsel, mal wieder ein neuer Sportchef - das übliche Prozedere bei dem Klub, der einst Trainer Joachim Löw mangels Perspektive an die Luft setzte. Erst jetzt scheint der Abstieg angekommen zu sein in Stuttgart. Die turbulente Mitgliederversammlung samt der Wahl eines höchst umstrittenen Präsidenten könnte den Niedergang sogar noch beschleunigen - möglicherweise aber auch als Katharsis wirken.

Wolfgang Dietrich heißt der neue Präsident, gewählt mit 52,7 Prozent der Stimmen, begleitet von "Spalter"- und "Lügner"-Rufen. Es scheint, als wolle der Verein in dieser Person seine Teufel mit dem Beelzebub austreiben. Dietrich hat sich nicht nur unbeliebt gemacht als Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21; er verdankt sein Millionenvermögen auch noch schwer zu durchschauenden Finanzgeschäften im Profifußball. Eine von ihm gegründete Firma ist verbandelt mit etlichen Zweitliga-Konkurrenten des VfB.

Guter Fan in der Kurve, böser Funktionär in der Loge. Vorgeschlagen wurde Dietrich vom Aufsichtsrat des VfB, in dem Vertreter von Weltkonzernen sitzen, dieses Gremium steht für alles, was Hardcore-Fans - nicht nur in Stuttgart - am modernen Fußball hassen: "Die da oben" sonnen sich angeblich nur im Glanz des Fußballs, ohne ihn zu lieben, geschweige denn eine Ahnung davon zu haben.

Wolfgang Dietrichs Wahlergebnis muss kein schlechtes Vorzeichen sein. Vorgänger Bernd Wahler, ein Manager aus der Sportartikelbranche, verstand es, die Seele der VfB-Gemeinde zu streicheln, er wurde vor drei Jahren mit 97 Prozent ins Amt gewählt. Am Ende seines Wirkens stand der Abstieg, während Erzfeind SC Freiburg mit bescheidenen Mitteln, aber dank kompetenter Führung den Wiederaufstieg schaffte. Die doppelte Demütigung. Dietrich ist nun einer dieser eher schrulligen schwäbischen Selfmade-Millionäre, deren größte Stärke nicht unbedingt die Kompromissfähigkeit ist. Aber dass sie Ahnung vom Geschäft haben, würde niemand bestreiten. Er wird jedenfalls nicht beim ersten Gegenwind Trainer feuern, von denen er überzeugt ist. Und am Ende wird er auch nicht vor Grausamkeiten zurückschrecken, etwa der Ausgliederung der Profiabteilung, um Investoren eine Plattform zu bieten. Potente Firmen gibt es in Stuttgart und um Stuttgart herum zur Genüge. Und es ist kein Geheimnis, dass Daimler bereit steht, sobald der VfB zur Ruhe findet.

Werden sie in Stuttgart bald wieder zueinander finden, die Fans in der Kurve und die Funktionäre in der Loge? Am Ende muss das Ergebnis stimmen. Wie der Fußball so spielt: Hätte der VfB nicht in den Tagen vor der Präsidentenwahl sein Zweitligaspiel 4:0 gewonnen, wäre möglicherweise am Sonntag der Kandidat Wolfgang Dietrich gescheitert. Und der ganze Laden wäre auseinandergeflogen.

© SZ vom 11.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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