Kommentar:Von London lernen

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Bei der Para-WM werden die Athleten in London gefeiert. Warum nicht in Deutschland?

Von Sebastian Fischer

Sie nennen ihn jetzt den "Kronprinzen". Johannes Floors ist gefeiert worden zum Abschluss der WM der paralympischen Leichtathletik in London. Das hatte damit zu tun, dass man Floors durchaus feiern darf nach seinen Leistungen, er ist der Weltmeister über 200 und 400 Meter. Aber auch damit, dass die Engländer einen beidseitig amputierten Sprinter wie Floors feiern wollten.

Wer mit den deutschen Athleten über die Veranstaltung im Queen Elizabeth Olympic Park spricht, über die Euphorie der Zuschauer, der hört sie schwärmen. "Mekka des Behindertensports" nennt Kugelstoß-Weltmeister Niko Kappel London. Wenn Kappel und Floors nun in die Heimat zurückfliegen, muss es sich für sie ein wenig so anfühlen wie für Pianisten, die sich nach famosen Konzerten in der Carnegie Hall unerkannt in die New Yorker U-Bahn setzen.

Ist das schlimm? Ein Sportpublikum sucht sich seinen Sport selbst aus. Ähnlich wie den paralympischen Leichtathleten würde es in einem deutschen Supermarkt auch Cricket- oder Rugby-Spielern von Weltklasse gehen - sie könnten in aller Ruhe einkaufen. Bei der Wertschätzung von Behindertensportlern geht es, nimmt man das Thema ernst, auch um Inklusion. Doch Fans lassen sich nicht mit dem Zeigefinger delegieren. Trotzdem lohnt der Blick nach London, in das gut gefüllte Stadion bei den hierzulande eher ignorierten Meisterschaften.

In Zeiten, in denen Olympische (und Paralympische) Spiele vor allem Ruinen und Schulden hinterlassen, ist den Briten seit den Spielen 2012 ein nachhaltiges Vermächtnis gelungen. Kinder rufen die Namen der damals als "Superhumans" beworbenen Paralympioniken. Sie bekommen diese Namen in einer auf Anerkennung, nicht auf Mitleid fixierten Sprache beigebracht. Und deutsche Funktionäre schauen bewundernd auf den Organisationsapparat, auf den Fundus an Kampfrichtern oder Trainern auf der Insel.

Es geht nicht nur um Geld. Die Idee, die Leichtathletik-WM der Behinderten vor und nicht erst nach der WM der Nicht-Behinderten (4. bis 15. August) auszurichten, hatten sie in London als erste. Überall werden die Veranstaltungen gemeinsam als "Summer of World Athletics" beworben, neben dem Bild von Usain Bolt ist eines von Markus Rehm, dem Prothesen-Weitspringer zu sehen. Wirkungsvoll ist das, und einfach. Da kann man doch nicht nicht draufkommen. Oder?

2018 richtet Deutschland in Berlin eine Doppel-Europameisterschaft der Leichtathletik aus. Es gibt auch schon eine bunte Webseite. Julian Reus sprintet im Video an einer U-Bahn vorbei, Thomas Röhler wirft seinen Speer durch die Stadt. Von einem Hinweis auf die Wettkämpfe der paralympischen Athleten fehlt jede Spur. Aber es ist ja auch noch ein Jahr Zeit.

© SZ vom 24.07.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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