Kommentar:Verhinderte Sause

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Die Radfahr-Profis wehren sich erfolgreich gegen eine neue Regelung beim Giro d'Italia, die halsbrecherische Abfahrten belohnt. Doch viele Probleme im Radsport lassen sich nicht mit kurzem Protest aus der Welt schaffen.

Von Johannes Aumüller

Der Protest war immens - und erfolgreich. Zu Wochenbeginn hatten die Organisatoren des Giro d'Italia bekanntgegeben, dass sie zur 100. Auflage ihrer Rundfahrt eine Zusatzwertung einführen wollten: eine für die schnellsten Abfahrer. Auf acht Bergab-Passagen sollte es um Punkte und ein paar Tausend Euro Prämien gehen. Das klang nach einer geradezu irren Idee: Die Gefahren sind ohnehin groß, wenn die Pedaleure auf ihren schmalen Reifen mit bis zu 90 Kilometern pro Stunde die Straßen hinabdonnern. Immer wieder kommt es zu Un- oder gar Todesfällen, erst kürzlich verunglückte der Amerikaner Chad Young. Und dennoch lobten die Giro-Macher einen Anreiz für eine noch riskantere Sause aus. Entsprechend klar war der Widerstand aus dem Peloton - am Mittwoch nahm die Rennleitung die Regel tatsächlich zurück.

Es ist einerseits erfreulich, dass sich eine solche Animation aufgrund eines Fahrerprotestes nicht durchsetzt. Andererseits ist es befremdlich, dass sich die Fahrer überhaupt damit befassen müssen. Das Giro-Beispiel illustriert aufs Schärfste, dass die maßgeblichen Kräfte des Sports, Verbände und Veranstalter, vieles im Blick haben, jedoch viel zu selten Schutz und Interessen der Athleten.

Viele Funktionäre sind es gewohnt, dass sie die Sportler gängeln können, wie es ihnen passt. Oft versagen sie ein Mitspracherecht, gefördert werden bestenfalls die angepassten unter den Athleten. Diese sind zudem in vielen Ländern und vielen Disziplinen schlecht organisiert. Umso erfreulicher ist es, wenn eine klare Protest-Haltung die Funktionärskaste zu Korrekturen zwingt.

Jüngst gab es dafür einige Beispiele. Als viele Fachverbände trotz dokumentierten Staatsdopings keine Sanktionen gegen Russland beschlossen, führte die Boykott-Drohung einiger internationaler Spitzenkräfte zum Entzug der Bob-WM aus Sotschi. In Deutschland erkämpften die Athletenvertreter gegen den Willen des Dachverbandes, des Deutschen Olympischen Sportbundes DOSB, eine Reform der Bundeswehr-Förderung. Und nun wehrte sich also das internationale Radfahrer-Feld erfolgreich gegen die Abfahrtsprämien-Pläne.

Dennoch braucht es gerade im Radsport eine stärkere Interessenvertretung. Aus Sicht diverser Fahrer liegen viele Themen im Argen, die sich nicht mit kurzem Protest aus der Welt schaffen lassen, sondern tiefer wurzeln. Das beginnt beim dichten Rennkalender, setzt sich fort beim Erfolgsdruck, weil viele Profis nur Jahresverträge bekommen, und endet bei manch unverantwortlicher Streckenführung. So können es die Giro-Planer auch zum Jubiläum nicht lassen, die Fahrer erneut aufs 2758 Meter hohe Stilfser Joch zu schicken. Als sie das zuletzt 2014 taten, trotz Schnee und Eis, klagte der Österreicher Bernhard Eisel: "Es war nur eine Show für das Fernsehen, für die Fans, wie im alten Rom. Ich finde das krank."

© SZ vom 04.05.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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