Kommentar:Trauermarsch zum Amtsgericht

Lesezeit: 2 min

Nach Landshut ist Füssen der zweite Eishockey- Traditionsstandort, der sich den Betrieb nicht mehr leisten kann.

Von Johannes Schnitzler

Knapp fünf Wochen lagen zwischen dem Tod des Eishockeyspielers Paul Ambros und dem Exitus seines Heimatvereins. Der EV Füssen - hinter dem Berliner SC der erfolgreichste westdeutsche Eishockey-Klub - hat am Montag Insolvenz angemeldet. Dass der EV Füssen seinen größten Spieler überhaupt überlebte, war wohl nur Zufall. Denn als der "Tiger vom Hopfensee" starb, wand sich der Klub, der mit Ambros elf seiner 16 Meistertitel geholt hat, selbst schon in Agonie. Nach Landshut ist Füssen der zweite Traditionsstandort binnen zwei Wochen, der sich den Betrieb nicht mehr leisten kann.

Zweitligist Landshut und Drittligist Füssen sind nur die jüngsten Namen auf der Gedenktafel für die Gefallenen und Gestrauchelten. Auch die Altmeister aus Bad Tölz, Rosenheim oder Riessersee kämpfen gegen ihre verblassende Bedeutung als Ausbildungsvereine. Der Trend geht zur Großstadt oder zum Großinvestor, regionale Kompetenz weicht wirtschaftlicher Potenz. Eishockey verspricht zwar für relativ kleines Geld relative Prominenz. Die Faustregel aber lautet: Geld verdienen kann man damit nicht. Das erlebte zuletzt der Oberligist Erding, dem ein Quereinsteiger aus der Solarbranche eine leuchtende Zukunft versprach - nach zwei Jahren gab er auf, Erding spielt nächste Saison zwei Klassen tiefer. In Füssen hatten sich über die Jahre 400 000 Euro Schulden angesammelt. Uwe Harnos, der ehemalige Präsident des Deutschen Eishockey-Bundes, Anwalt und Nachlassverwalter des EVF, sagt, es fehle "eine positive Fortführungsprognose".

Als das Politbüro der DDR zu Beginn der Siebzigerjahre beschloss, die Liga auf zwei Vereine zu stutzen, stellte der zuständige Staatssekretär die maliziöse Frage: "Um Eishockey zu betreiben, benötigt man jährlich die Finanzen von etwa zwei Hochseefisch verarbeitenden Kühlschiffen. Also, liebe Sportler, was brauchen wir dringender: Eishockey oder Kühlschiffe?" Das deutsche Eishockey braucht, um die Medaillen-Visionen seines neuen Präsidenten Franz Reindl zu erfüllen, ganze Schiffsladungen an gut ausgebildeten Talenten. Reindl fordert deshalb, dass alle - die Profiliga DEL, die Amateurklubs, die Verbände - einen gemeinsamen Kurs steuern. Landshut darf in der dritten Liga neu starten. Auch der Füssener Nachwuchs soll in einem neuen Verein eine Perspektive behalten. Ob das aber schon eine positive Fortführungsprognose ist?

Als der EV Füssen den Trauermarsch zum Amtsgericht antrat, saß der langjährige Nationalmannschaftskapitän Michael Wolf, der letzte große Name aus der Füssener Nachwuchsschule, mit 13 Kollegen aus der Liga Hunderte Kilometer weit weg, in Hamburg, beim "DEL Captains' Dinner". Als träfen sie sich zum Leichenschmaus auf dem Traumschiff. Während drunten im Maschinenraum die Malocher hungern.

© SZ vom 28.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: