Kommentar:Teil seiner Pflicht

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Klinsmann ist unter Druck. Und sein aktueller Wohnort kommt wieder ins Gerede. Soll er nun nach Deutschland ziehen, oder nicht? Er soll.

Philipp Selldorf

Als das Jahr noch ziemlich frisch war, wurde in der Bundesliga diskutiert, ob der Cheftrainer der deutschen Nationalmannschaft seinen Dienst im Zustand einer Fernbeziehung ausüben dürfe.

Viele meinten: Am Pazifik leben, die Bundesliga im US-Sportfernsehen gucken, sporadisch zu den Länderspielen einfliegen und gleich darauf wieder zurück nach Kalifornien reisen - das ergebe kein gutes Modell für die Tätigkeit als Bundestrainer.

Franz Beckenbauer widersprach dieser These. Er erinnerte sich an sein eigenes Dasein als Teamchef der Nationalelf. Wie ihn die ständige Präsenz seiner Arbeit in den Alltag verfolgt habe, bis er an nichts anderes mehr denken konnte als an Fußball und seine Nationalelf. "Da ist der Jürgen Klinsmann zu beneiden", sagte Beckenbauer und vertrat die Ansicht: Abstand ist gesund.

Widersprüche kommen bei Beckenbauer mal vor

Nach dem enttäuschenden Spiel in der Türkei hat Beckenbauer festgestellt, dass Klinsmann sich öfter in Deutschland aufhalten müsse, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, er sei nie da. Spätestens im WM-Jahr solle er öfter in der alten als in der neuen Heimat anzutreffen sein.

Darin mag man einen Widerspruch erkennen, aber das kommt bei Beckenbauer vor. Schließlich hatte er am Samstag auch vom "Murren der Liga" über Klinsmanns Kurs gesprochen und sich selbst bei den Murrenden eingereiht, am Montag das Murren aber verurteilt: "Die Bundesliga stichelt zuviel", teilte er mit.

Doch erstens darf jeder seine Meinung so oft ändern wie er will, und zweitens passt das alles immer noch zueinander: Murren ist legitim, Sticheln nicht hilfreich. Und gleiches gilt für den Wohnort des Bundestrainers: Wenn Klinsmann sein unbeschwertes Leben in Kalifornien fortsetzen will, dann muss er sich öfter mit dem harten Job in Deutschland befassen, durch persönliche Gegenwart an Ort und Stelle. Jede Fernbeziehung erträgt nur ein gewisses Maß an Absenz, sonst gehen Vertrauen und Substanz verloren.

Schon hat man manchmal den Eindruck, Klinsmann habe nicht den richtigen Blick für die fußballerischen Eigenheiten seiner Kandidaten, weil er sie nur aus dem Fernsehen kennt. Es ist eben doch nicht nur ein für die Kameras inszenierter Tätigkeitsnachweis, wenn der Bundestrainer bei den Bundesligaspielen auftaucht. Es ist auch Teil seiner Pflicht. Daher wäre es an der Zeit, dass Klinsmann es Beckenbauer nachmacht - und seine Meinung ändert.

© SZ vom 11.10.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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