Kommentar:Streng nach Plan

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Zum Ende der Gruppenspielphase ist festzuhalten: Alles läuft streng nach Plan, wie am Reißbrett eines Organisationsweltmeisters entworfen. Keine besonderen Vorkommnisse, überraschend nur, dass es keine Überraschungen gibt.

Thomas Kistner

Die Partystimmung auf höchsten Höhen, gekickt wird auch ganz flott, sportlich besehen aber weist dies Turnier noch wenig eigene Konturen auf.

Zum Ende der Gruppenspielphase ist festzuhalten: Alles läuft streng nach Plan, wie am Reißbrett eines Organisationsweltmeisters entworfen. Keine besonderen Vorkommnisse, überraschend nur, dass es keine Überraschungen gibt.

In den Wettbüros hat sich gewiss noch niemand gesund gezockt. Ghana und Australien im Achtelfinale? Auch keine Revolution. Afrikas Meister können wunderbar Fußball spielen, der Rest ist Animismus pur: Heute hat das Spiel eine Seele, morgen hat es keine.

Hiddink schafft alles

Und wer, wie die Australier, Uruguay in der WM-Qualifikation schlägt, kann auch Japan und Kroatien überflügeln. Zumal, wenn der Coach Guus Hiddink ist.

Der schafft nun, was er schon 2002 mit Südkorea vollbrachte: Team Australia rackert, rennt und hechelt, bis der Arzt kommt. Hauptsache, es ist der eigene.

Dass die WM bisher so abläuft, als hätte die Fifa den Mitwirkenden untersagt, die Logik ihrer Weltrangliste auszuhebeln, liegt auch daran, dass es eben eine Welt- und keine Europameisterschaft ist. Bei der EM messen sich Europas 16 Stärkste, wie die DFB-Auswahl bei den letzten Turnieren schmerzvoll erfuhr.

Bei einer WM messen sich Europas 14 Beste, dazu weitere 18 Teilnehmer. Gewöhnlich zählt von denen - klingt unfein, ist aber ungeschriebenes Gesetz - nur Brasilien, Argentinien sowie je ein Ausreißer aus Afrika, Asien und Amerika zum Kreis der sportlich Berufenen.

Gut ein Dutzend weiterer Gäste bilden die folkloristische Staffage; es waren just diejenigen, die nun wieder heimreisen. Die Gesetzten unter sich, von Runde zu Runde dürfte sich der Kreis der üblichen Verdächtigen enger zusammenziehen: die Mehrfach-Weltmeister Brasilien, Argentinien, Italien sowie vielleicht auch Deutschland, dank des enormen Heimvorteils. Sie steuern aufeinander zu, das Tableau ist von nüchterner Vorbestimmtheit.

Bei der Vorgängerveranstaltung war das noch anders: 2002 in Fernost purzelten die Favoriten schon in der Gruppenphase aus dem Bewerb, während Rudi Völlers Kuschelkollektiv (auch dank gnädiger Zuordnung der Gegner) bis ins Finale ruckelte.

Andererseits blieb auch die WM 2002 nicht als fußballerische Fachmesse in Erinnerung haften. Niemand experimentierte mit der Achterkette, am Ende wäre ums Haar ein deutscher Torwart zum Spieler des Turniers gekürt worden.

Für Diskussionsstoff sorgen bisher mehr die Schiedsrichter; eine Branche, die eigentlich aus ganz anderen Gründen kriselt. Bei der WM haben die Referees noch viel Arbeit vor sich, wenn sie das Bild vom souveränen Spielleiter wieder beleben wollen.

15 Elfer, die nicht gepfiffen wurden

Bei einer Detailanalyse von 44 WM-Spielen will der brasilianische Sender Globo TV 15 klare Elfmeter ermittelt haben, die nicht gepfiffen wurden, hinzu kommen zwei Tore, die unter den Richtertisch fielen, sowie allerlei Merkwürdiges bis hin zu jener Regelnovität, die Referee Graham Poll im Spiel Australien - Kroatien einführte: Der Brite verwies Simunic erst nach der dritten gelben Karte des Feldes.

Das wirft die Frage auf, was das halbe Dutzend per Funk verbundener Linienrichter und Matchoffizieller so treibt während des Spiels.

Andererseits: Irren ist menschlich, und an gewissen menschlichen Makeln hält die Fifa erklärtermaßen gerne fest. Dass sie das von vielen Profisportarten unterscheidet, ist unwichtig, solange Fußball die Nummer eins weltweit ist.

Nun beginnt also die K.o.-Runde und für die, Hand aufs Herz, bisher eher mäßig geforderten Klinsmänner die Zeit echter Prüfung. Schöne Aussichten sind das, wenn der prächtige WM-Rahmen sich jetzt endlich mit Klasse und Spannung füllt.

© SZ vom 24.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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