Kommentar:Spektakuläre Stille

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Eine Vierschanzentournee ohne Zuschauer? Was zunächst unvorstellbar klang, hat erstaunlich gut geklappt. Denn die Skispringer bringen Höchstleistungen oft dann, wenn sie den Lärm möglichst gut ausblenden können.

Von Volker Kreisl

Ein Spektakel ohne anwesende Zuschauer, das ist ein Widerspruch in sich. Kaum vorstellbar war dies nun zunächst auch beim ersten großen Wintersportereignis der Saison. Die Vierschanzentournee zählt zu den Großevents, die, so schien es, besonders von der Reaktion der Tribünengäste leben. Das Skispringen ist der einzige Schneesport, bei dem die Athleten nicht hinauslaufen in den Wald, nicht alleine irgendwo weit oben durch die Felsen bergab fahren, sondern bei dem die Zuschauer, Betreuer, Techniker und Trainer in einer Arena versammelt sind und ein Fest feiern. Und das sollte funktionieren? Eine schweigende Tournee?

Es hat erstaunlich gut geklappt. Die 69. Vierschanzentournee wird wegen ihrer verschneiten Sitze, wegen der vom Sommersport bekannten Corona-Maßnahmen, zudem wegen eines Eklats, als das polnische Team zunächst ausgeschlossen und dann wieder eingegliedert wurde, den Sportlern in Erinnerung bleiben. Und auch bei anderen, die persönlich gekommen waren, egal in welcher Funktion, werden manche Bilder im Gedächtnis haften. Etwa das Pressezentrum in Garmisch-Partenkirchen, das im riesigen Saal des Kongresshauses untergebracht war, in dem jedoch einen Nachmittag lang genauso viele Reporter saßen wie Ordner: zwei.

Die diesjährige Tournee war abwechslungsreicher und faszinierender als die meisten Ausgaben der vergangenen Jahre

Aber der Wettkampf blieb auch in der Stille spannend. Im Gegenteil, der Verlauf der zehn Tage zwischen dem ersten Training in Oberstdorf und dem Siegsprung von Kamil Stoch in Bischofshofen enthielt mehr Abwechslung und Faszination als die meisten anderen Tournee-Ausgaben der vergangenen Jahre. Der Auftakt war ein Spektakel, bei dem sich nicht nur Markus Eisenbichler mit seiner Aufholjagd, sondern sechs bis sieben weitere Springer in aussichtsreiche Position brachten. In Garmisch-Partenkirchen, wo die DJs mit Gute-Laune-Musik und Zieeeeh-Schreien etwas verloren gegen die Ruhe kämpften, erlebten dann die Österreicher, insbesondere deren trotz Corona-Beschwerden immer noch bester Akteur Stefan Kraft, wie so oft ihr frühes Ende im Springen um den Gesamtsieg.

In Innsbruck passierte dies den Deutschen und zudem auch noch dem großen Favoriten Halvor Egner Granerud aus Norwegen, der sich für kurze Zeit in einen Flegel verwandelte, weil er selbst zurückfiel, Kamil Stoch wegen seines Sieges beschimpfte und sich dann aber entschuldigte. Weiter ging's hin und her, hoch und runter im Klassement und auf dem Podium, auf dem in Bischofshofen als Tageszweiter plötzlich wieder der Norweger Marius Lindvik auftauchte, nachdem er in Garmisch mit einer bakteriellen Kieferentzündung ausgefallen war und in Innsbruck zunächst eine Zahnoperation hinter sich gebracht hatte.

Ob nun auch die kommenden Biathlon-Weltcups und die weiteren Winter-Weltmeisterschaften mit schweigender Kulisse einen so abwechslungsreichen Wettkampf wie die Tournee bieten, ist fraglich. Denn Skispringer sind besonders sensible Typen - Sportler, die nicht über eine Ziellinie gebrüllt werden wollen, sondern ihre Höchstleistungen immer dann bringen, wenn sie die vielen lauten Zuschauer möglichst gut ausblenden können, bis es ganz still ist.

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