Kommentar:Pöbelndes Publikum

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Abgang mit ironischer Geste ans Publikum: Novak Djokovic. (Foto: Eduardo Munoz Alvarez/AP)

Die Zuschauer in New York sind berüchtigt dafür, unsportlich zu sein. Bei der Verletzung­saufgabe von Djokovic verhalten sie sich unverschämt.

Von Jürgen Schmieder

Um zu verstehen, wie unsportlich, unverschämt und ungeheuerlich das Verhalten des New Yorker Tennispublikums am Sonntagabend gewesen ist, muss man sich vorstellen, was passiert wäre, wenn ein anderer verletzt gewesen wäre. Wenn zum Beispiel Roger Federer in der Partie gegen David Goffin wegen einer Schulterverletzung hätte aufgeben müssen. Die Leute wären aufgestanden, hätten mit Tränen in den Augen applaudiert. Bei Novak Djokovic hingegen: Pfiffe, Buhrufe, Beleidigungen. Der Serbe hob beim Hinausgehen sarkastisch den Daumen, es war ihm anzusehen, dass ihn dieser Abschied noch mehr schmerzte als die lädierte Schulter.

Federer ist einer der feinsten und fairsten Sportler, er hat sich die Zuneigung des Publikums verdient. Nur: Djokovic ist kein Schurke. Er hat nicht in die Richtung des Schiedsrichters gespuckt, wie Nick Kyrgios kürzlich in Cincinnati. Er hat den Referee nicht angepöbelt wie Stefanos Tsitsipas ("Weil du Franzose bist, und ihr seid alle schräg") bei seiner Erstrundenniederlage in New York. Er hat den Leuten nicht den Stinkefinger gezeigt wie Daniil Medwedew. Djokovic war nur angeschlagen. Bereits die Partie gegen Denis Kudla hatte er unter starken Schmerzen absolviert.

Die New Yorker sind stolz darauf, dass Freundlichkeit nicht zu ihren Primärtugenden gehört, dass sie gerade bei Sportveranstaltungen gerne pöbeln und provozieren, auch gegen in New York beheimatete Klubs wie die Knicks (Basketball) oder die Giants (American Football). Schon beim Finale 2015 haben die Zuschauer nicht nur versucht, Federer zum Sieg zu brüllen - sie haben (erfolglos) probiert, Djokovic zur Niederlage zu lärmen. Das war unsportlich, aber es war nicht unverschämt und ungeheuerlich.

Djokovic hat sich in der vergangenen Woche tadellos benommen, sein einziges, nun ja, Vergehen: Er hat gesagt, dass er Federer den Rekord für die meisten Grand-Slam-Titel (20) abnehmen will. Er kann nun erst mal nicht aufholen, wegen seiner Verletzung bleibt er vorerst bei 16 Erfolgen. Ihn nun so zu schmähen, ist in etwa so, als würde man einen treten, der wehrlos am Boden liegt. Djokovic beschwerte sich danach nicht über das Publikum, er gratulierte seinem Gegner und entschuldigte sich für das rasche Ende der Partie. Er sagte, und es kann keine bessere Reaktion auf die Pfiffe und Buhrufe geben, dass er sich diesen Rekord dennoch irgendwann sichern wolle.

© SZ vom 03.09.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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