Kommentar:Netzwerke vor Gericht

Lesezeit: 2 min

Lamine Diack (links) im Juni in Paris. (Foto: Thomas Samson/AFP)

Die Prozesse gegen Lamine Diack in Paris und Mark Schmidt (München) widerlegen wohl erneut die Mär vom verirrten Dopingsünder.

Von Claudio Catuogno

Zwei Strafprozesse stehen an diesem Mittwoch im Blickpunkt, zweimal findet der Sport nicht auf dem Rasen oder der Tartanbahn, auf dem Rennrad oder in der Langlaufloipe statt, sondern im Gerichtssaal. In Paris wird vor der 32. Kammer des örtlichen Strafgerichts das Urteil gegen den Senegalesen Lamine Diack, 87, erwartet, den ehemaligen Präsidenten des Leichtathletik-Weltverbandes, der seit 2015 in Frankreich unter Hausarrest steht. Und in München beginnt vor dem Landgericht München II der Prozess gegen Mark Schmidt, jenen Sportmediziner aus Thüringen, der im Februar 2019 die "Operation Aderlass" ausgelöst hatte: Razzien unter anderem in Erfurt, wo seine Praxis ist, und bei der Nordischen Ski-WM in Seefeld. Schmidt, der seinen Ein- und Ausfuhrservice für Beutel voller Sportlerblut bei Wettkämpfen aller Art angeboten haben soll, sitzt seitdem in Bayern in Untersuchungshaft.

Lamine Diack drohten ursprünglich bis zu zehn Jahre Haft, nun hat die Pariser Staatsanwaltschaft noch vier Jahre beantragt, plus Geldstrafe. Und auch bei Schmidt steht im Raum, dass er nach Ende des Prozesses - das Urteil wird rund um Weihnachten erwartet - noch eine Weile im Gefängnis bleiben muss. Weitere Gemeinsamkeiten? Nun, beide Fälle erschüttern die besonders von Funktionären, Sportdirektoren und Trainern gern bemühte These, wonach Doping vor allem ein Übel sei, mit dem charakterschwache Einzeltäter ihre armen Konkurrenten hintergehen. Also die beliebte Theorie vom Doping sünder als schwarzem Schaf des Sportbetriebs. Beide Fälle lenken den Blick in die unterschiedlichen Winkel eines Systems.

Da ist zunächst die Erkenntnis, dass sich wohl kaum ein Athlet selbst das Equipement für ausgetüftelte Panschereien anschafft, die den Sauerstoffgehalt im Blut erhöhen und so die Leistung steigern sollen: Zentrifugen, Hochleistungskühlschränke - dafür braucht es Netzwerke. Schmidts mutmaßliche Kunden landeten in Pyeongchang bei den Olympischen Winterspielen? Das für den Blutaustausch nötige Equipement, hat die Münchner Doping-Schwerpunktstaatsanwaltschaft ermittelt, soll schon da gewesen sein. Wobei ein perfider Aspekt im Prozess besonderen Raum bekommen dürfte: dass beim Transport des Extrablutes die Athleten ihre eigenen Lebendblutbeutel gewesen sein sollen: Blut rein, Langstreckenflug, Blut wieder raus. Ein Spiel mit dem Leben. Der österreichische Langläufer Johannes Dürr, der die Affäre mit einem Dopinggeständnis in der ARD ins Rollen gebracht hatte, hat bereits eindrucksvoll geschildert, wie er in seinem Skiverband zielsicher an das Thema Doping herangeführt wurde. Ob dieser Blick aufs große Ganze nun mit Erkenntnisgewinn vertieft wird, hängt sicher auch davon ab, ob Schmidt und seine mitangeklagten mutmaßlichen Helfer im Gerichtssaal reden oder so schweigsam bleiben wie offenbar zuletzt.

Dann ist da noch - und damit ein Schwenk nach Paris - auch die Erkenntnis, dass Netzwerke kaum Bestand hätten, wenn es all diejenigen ernst meinten mit dem Anti-Doping-Kampf, die formal für ihn zuständig sind. Und die doch oft genug bloß einen Kampf gegen das Öffentlichwerden von Dopingaffären führen. Nicht immer läuft das so atemraubend kriminell ab wie bei Diack: Der ließ verfügen, dass sein Weltverband Positivproben von Athleten verschwinden ließ. Er wollte doch, sagte er dem Richter, nur dem Ansehen des Sports helfen.

© SZ vom 16.09.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: